Kommentar Syrien: Der Krieg wird blutiger
Es ist eine bittere Bilanz: Der Krieg in Syrien wird immer brutaler, die Opferzahlen steigen. Und jetzt, nachdem der Annan-Plan gescheitert ist, wird noch härter gekämpft.
E s fällt schwer zu glauben, dass irgendjemand ernsthaft erwartet hat, dass der Annan-Plan für Syrien befolgt werden würde. Hätte das Regime seine Truppen aus den Städten und Dörfern zurückgezogen, dann hätte es seine Kontrolle über das Land aufgegeben. Und seine Chance, diese Kontrolle in absehbarer Zeit wiederzuerlangen, wäre gleich null gewesen.
Die Forderung nach Waffenruhe bedeutete also de facto einen Machtverzicht – entsprechend stand die Entmilitarisierung des Konflikts für Assad und seine blutrünstigen Partner nie zur Disposition.
Und noch immer glaubt das Assad-Regime, dass seine militärische Übermacht ihm den Sieg bringen wird. Das freilich ist ein gewaltiger Irrtum. Den Preis für ihn wird zunächst die syrische Bevölkerung mit vielen, vielen weiteren Toten entrichten.
Bezahlen wird aber auch der Assad-Clan, mit seinem politischen Untergang und wohl auch seiner physischen Vernichtung. Dass es so kommen wird, ist fast sicher. Offen ist der Zeitpunkt und wie viele Leute bis dahin noch sterben müssen.
ist Redakteur im Auslandsressort der taz.
Jetzt, nach dem Scheitern des Annan-Plans, wird der Bürgerkrieg erst mal mit noch größerer Brutalität entbrennen. Alle Akteure aus den Nachbarstaaten, vom Iran über den Irak und Saudi-Arabien bis zum Libanon und der Türkei werden sich – offen oder verdeckt – militärisch engagieren.
Und sobald die erste Pufferzone an der türkisch-syrischen Grenze etabliert werden konnte, wird der Ruf nach einer offiziellen militärischen Intervention zum Sturz des Regimes nicht mehr einfach vom Tisch gewischt werden können.
Auch die bisherigen Stützen des Regimes in Moskau und Peking haben ja heute erkannt, dass mit dem Assad-Regime auf Dauer kein Staat mehr zu machen ist.
Wahrscheinlich ist, dass Moskau bald innerhalb der herrschenden Eliten in Syrien nach einer Alternative zum Assad-Clan suchen wird. Um diesen Prozess zu beschleunigen, könnte Moskau auch einer Resolution des UN-Sicherheitsrats zustimmen, die das Regime schärfer verurteilt.
Bei Erfolg befände sich Syrien danach in einem Transitstatus, in dem die Verteilung der Macht neu ausgehandelt werden müsste, unter Einschluss der diversen Oppositionsgruppen.
De facto bedeutet dies jedoch, dass die Kämpfe sich noch über Monate hinziehen werden. Die Zahl der Opfer wird immens steigen, die Zahl der Flüchtlinge ebenso.
Die Wirkung von Sanktionen und moralischen Appellen wird dagegen wenig ausrichten. Die Gefahr, dass sich das Land auf Jahre in ein blutiges Schlachtfeld verwandelt, ist keineswegs gebannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen