Kommentar Stuttgart 21: Sackgasse für Atom-Mappus
Die Bilder der Gegner von "Stuttgart 21" wirken über diese Tage hinaus: als Symbol, dass die CDU in Baden-Württemberg den Kontakt zur Mitte der Gesellschaft verloren hat.
S ie nannten ihn Tag X, die Gegner des umstrittenen Milliarden-Bahnprojekts "Stuttgart 21": den Tag, an dem Bagger begannen, den denkmalgeschützten Nordflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs abzureißen. Demonstranten und Demonstrantinnen wehrten sich wütend und verzweifelt, als würden ihre eigenen Häuser zerstört. Sie werden den Abriss nicht verhindern können, doch die Bilder, die sie liefern, wirken über diese Tage hinaus: als Symbol, dass die CDU in Baden-Württemberg den Kontakt zur Mitte der Gesellschaft in den Großstädten verloren hat. Denn die ist es, die in Stuttgart rebelliert, es sind nicht die linken Sektierer.
Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hat deshalb ein ernsthaftes Problem. Er rennt mit seinem Versuch, sich bundesweit als neuer Konservativer zu etablieren, im eigenen Land ins Leere. Angetreten ist er als einer, der sich auf christliche Werte beruft und ehrlich zu dem steht, was er sagt. "Lügenpack", rufen aber nun die Demonstrierenden in Richtung Politik - und der Eindruck bleibt auch außerhalb Stuttgarts hängen: Mappus steht für ein Projekt, bei dem seit Jahren Halbwahrheiten verbreitet und Fakten unterschlagen werden. Mit Stuttgart 21 widerlegt Mappus sich selbst.
Auch auf anderen Feldern kann er nicht punkten: Ohne jegliches politisches Gespür hat sich Mappus zum deutschlandweiten Vorkämpfer für eine möglichst lange Laufzeit von Atomkraftwerken aufgeschwungen. Im Ländle nennen sich ihn "Atom-Mappus". Die Quittung: Derzeit liegt zum ersten Mal überhaupt Rot-Grün in Baden-Württemberg in Umfragen knapp vor Schwarz-Gelb. Irgendwann zwischen Oktober 2010 und Februar nächsten Jahres wird seine Augen-zu-und-durch-Politik noch deutlicher in symbolischen Bildern verewigt. Dann werden im Schlossgarten von Stuttgart alte, mächtige Bäume dem neuen Bahnhof weichen müssen. Fast 22.000 Menschen haben sich bereits als "Parkschützer" registrierten lassen, viele wollen sich an die Stämme ketten.
ist Redakteur im Inlandsressort der taz.
Hätte Mappus die Folgen der Stuttgarter Rebellion begriffen, er würde versuchen, als Moderator aufzutreten. Wie er elegant aus dem Projekt aussteigen könnte, hat er bereits kundgetan: falls die Bahn eine weitere Kostenexplosion konstatiert. Wenn der Ministerpräsident darauf drängt, wird sie sicher fündig. Denn am 27. März 2011 sind Landtagswahlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz