Kommentar Stuttgart 21: Wutschwabe, Arsch hoch!
Die Bahn baut wieder am Stuttgarter Bahnhof - und wen juckt's? Gerade mal ein paar hundert Leute latschen hin. Die Schwaben haben zu viel Vertrauen.
L angsam sollten sie wohl wieder wach werden, die Wutschwaben. Während alle Welt analysiert, was die Grünen im Streit um Stuttgart 21 nun leisten müssen, um sich politisch nicht selbst zu enthaupten, lässt das doch so zähe, so solide Gewächs des aufmüpfigen Brüllbürgers daran zweifeln, ob es überhaut die Aufregung wert ist.
Seit Tagen kündigt die Bahn an, wieder intensiv zu bauen - und wen juckt's? Gerade mal ein paar hundert Leute latschen zum Bahnhof. Das ist Grund, Alarm zu schlagen: Wenn das da so weitergeht, können die im Schwabenland ihre neue Bürgergesellschaft gleich wieder einmotten.
"Ja, wenn erst mal die Bagger rollen", meinen einige, "dann wuppen wir hier wieder Zehntausende auf die Straßen." Doch hinter dieser voraussetzungsvollen Protestbereitschaft verbirgt sich ein Problem: Das Vertrauen ist in die Schwaben gefahren. Der Schlichter war da, die Grünen sind da, irgendwie wird alles schon werden. Doch so haben wir uns die neue Bürgergesellschaft nicht vorgestellt.
MARTIN KAUL ist Bewegungsredakteur der taz.
Stuttgart 21 - was war das für ein hoffnungsvolles Zeichen einer sich emanzipierenden Stadtgesellschaft. Diese droht gerade verloren zu gehen. Weil die Grünen zu viel Vertrauen genießen. Dabei war es - wie der rot-grüne Konsens in der Atompolitik eindrucksvoll gezeigt hat - für Akteure sozialer Bewegungen selten ein guter Rat, sich zu sehr auf Parteien zu verlassen.
Was außerparlamentarischen Widerstand so langweilig - und so relevant - macht, ist seine genuine Funktion, Maximalpositionen zu formulieren und laut an ihnen festzuhalten. In Stuttgart, wo es um ein neues Modell von Stadt geht, ist dies von besonderer Bedeutung. Wenn diese Vision Bestand haben soll, dann muss es heißen: Ihr wolltet unbedingt mitreden? Dann kriegt euren Arsch hoch!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid