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Kommentar Streikrecht bei der BahnDer Kunde als Streikbrecher

Eva Völpel
Kommentar von Eva Völpel

Brüssel will den Schienenverkehr in Europa liberalisieren, und nebenbei das Streikrecht der Bahnbeschäftigten schleifen. Herhalten muss dafür der Kunde.

Bahnkunden warten 2011 beim Streik der Lokführer auf dem Bonner Bahnhof. Bild: reuters

M ehr Wettbewerb – mehr Vorteile für die Kunden. Mit diesem Credo wirbt die EU für eine Liberalisierung des Schienenverkehrs. En passant wollen dabei einige Abgeordnete des EU-Parlaments auch das Streikrecht der Beschäftigten im Schienenverkehr einschränken.

Ein „Mindestleistungsniveau“, heißt es im Bürokratendeutsch, müsse aufrecht erhalten werden, schließlich seien viele Dienstleistungen durch öffentliche Gelder finanziert und der Fahrgast habe ein Anrecht auf sie. Dafür darf man das grundgesetzlich und in den Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation verbriefte Streikrecht also schon mal schleifen, meint man in Straßburg.

Der Kunde ist König – mit diesem Allgemeinplatz werben Liberale und Konservative in Europa für ihren Vorstoß. Unterschlagen wird dabei, dass sich zwar etliche Fahrgäste ärgern, wenn sie wegen Streiks verspätet ankommen. Trotzdem haben viele Verständnis für Arbeitsniederlegungen. Sie finden eben auch würdige Arbeitsbedingungen und funktionierende, öffentliche Gemeingüter mit motivierten Mitarbeitern sinnvoll und notwendig. So etwas aber gerät durch Liberalisierungen unter Druck – was wiederum Streiks und die Gegenwehr von Beschäftigten wahrscheinlicher macht.

Es ist nicht der erste Ruf nach dieser Art von Einschränkungen. Auch in Deutschland bemühen sich arbeitgebernahe Juristen seit einiger Zeit darum, argumentativ die Figur des Kunden zu etablieren, um Streiks in sämtlichen Bereichen der Daseinsvorsorge, also auch in Kitas oder Krankenhäusern, einzuschränken. Auch in diesen Fällen ist es ein leicht zu durchschauender Unsinn. Nicht der Kunde soll König sein, sondern die Wirtschaft und die europäische Wettbewerbsfähigkeit, die von Streiks gestört werden könnten.

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Eva Völpel
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1976. Ist seit 2009 bei der taz und schreibt über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie die Gewerkschaften

15 Kommentare

 / 
  • A
    Aussperrung

    Das Streikrecht ist in einer "marktkonformen Demokratie" schlicht völlig überflüssig! -War ein Scherz. Mich schauderts nur, wenn ich an die Vorgeborenen denke, die das Streikrecht blutig erkämpften. Denn es ist nicht aus dem neoliberalen Himmel gefallen.

    Übrigens dürften in dieser Logik Erzieherinnen und Erzieher auch nicht streiken, auch hier ist der Staat (und Kunde/Eltern) am zahlen, "bestimmt die Musik". Es gab mal ein Wort, das hielt die Gesellschaft zusammen, machte in grauer Vorzeit den homo sapiens (auch) erst überlebensfähig: Es hieß Solidarität. Aber im neoliberalen Himmelszelt funkeln jetzt die Sterne, das der Pöbel sich die Köpfe reckt und nicht sieht was zu seinen Füßen geschieht. Er sieht weder den Nebenmann, noch den Gürtel, den er enger schnallte. Denn er ist Konsument, Kunde und König!

  • BF
    bahn fahn

    Wenn die Bahn so scheiße ist, dass die Mitarbeiter streiken müssen, dann soll mir jeder Streik mehr als recht sein. Dann fahr ich eben Bus, oder Auto (oder bilde Fahrgemeinschaften) oder Fahrrad oder gehe zu Fuß oder bleibe gleich mit dem Arsch zuhause (wenn ich nicht gerade knechten gehen muss). Auf die Fahrpläne ist doch eh nur in Ausnahmefällen verlass und wenn gerade niemand irgendwohin muss. Egal ob zur Arbeit, zum Feiern oder an den Feiertagen: ich nehme immer ein bis zwei Bahnen eher, damit ich halbwegs pünktlich bin. So verlängert sich eh jede Fahrt um unbestimmte Zeit, da macht ein Streik kaum einen Unterschied. Zumal sich eh immer Leute finden, denen es so dreckig geht, dass sie den Streik brechen. Beim letzten mal sind jedenfalls nicht 100% aller Züge ausgefallen. Man konnte früher oder später fahren, die Lokführer waren da eigentlich viel zu sanft.

  • G
    genervt

    Wettbewerbsfähigkeit? Bei den europäischen Bahnen? Im Bereich Personenbeförderung? Das ist doch Unfug!

    Mit wem sollen die denn in Wettbewerb stehen? Mit der Regionalbahn Neu Delhi Süd? Also ehrlich, das ist doch wieder nur vorgeschobenes Liberalisierungsgequatsche. Mein Regionalexpress muss mit keiner Bahn außerhalb Europas wirklich konkurrieren, noch nicht eimal innerhalb Europas muss er das. Denn auch die Konkurrenten "leiden" unter dem gleichen Streikrecht. Und auch die Kunden der "Privatbahnen" legen Wert auf Sauberkeit und freundliche Angestellte. Und kosten tut es eh alles das gleiche, die Preise diktiert ja die Bahn. Ich hab bei der Eurobahn jedenfalls noch nie weniger bezahlt als bei der "echten" Bahn. Und das obwohl dort so gut wie nie Zugbegleiter zu sehen sind. Ist also mal wieder nur der Versuch die Rechte der Arbeitnehmer einzuschränken. Mann ey, dieser Haufen Opportunisten, die jedem halbwegs einflussreichen Wirtschaftsclown in den Arsch kriechen widert mich an!

  • Z
    Zweifler

    Entschuldigung, aber ich kann mich als Bahnkunde des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Gewerkschaften vor den Karren des Staatskonzerns Deutsche Bahn AG spannen lassen. Und die taz zieht kräftig mit.

     

    Nicht alles, was die EU will ist positiv - auch bei Thema Eisenbahn. Aber es ist tendenziell deutlich besser, als das, was die meisten deutschen Parlamentarier bisher zum Thema Regulierung des Eisenbahnweses so äußern. Und letztendlich läuft es - natürlich - auf einen Kompromiss hinaus. In Europa gilt, das nicht alles automatisch richtig ist, nur weil es aus Deutschland kommt (oder von großen Bahnkonzernen, die versuchen, die deutsche und europäische Verkehrspolitik zu beherrschen).

     

    Diese mediale EU-Phobie geht mir sowieso auf den Geist. Nichts gegen kritische Begleitung, aber wer Europa will, das Parlament und die EU-Wahlen ernstnimmt, sollte auch erkennen, dass hier ein demokratisch legitimierter Gesetzgebungsprozess abläuft, bei dem die Kommission nur Vorschläge einbringt. Hat sicher noch Verbesserungspotenzial, ist daber nicht soviel schlechter als die entprechenden nationalen Vorgehensweisen.

  • G
    Gast

    Bei Bahn- oder Flugstreiks wird vor allem der Kunde geschädigt, das sollte ja nicht SInn der Sache sein.

    Und daß erstmal die Lotsen, dann die Piloten, dann die Saftschubsen und schlisslich auch die Radpolierer abwechselnd streiken kann ja auch nicht angehen.

    Sogesehen ist eine Einschränkung des Streikrechts mir sehr willkommen!

    • @Gast:

      Das Streikrecht ist ein hohes Gut.

      Früher war es so, dass ein solidarisches Unterfangen zum Nutzen aller Mitarbeiter war.

      Dies ist nun erodiert nur die Funktionseliten profitieren. Der Solidaritätsgedanke wird leider auch durch die Gewerkschaften unterwandert. Wirklich schade.

      Die Eliten (Piloten, Lokführer) haben so ein Druckmittel für ihre Eigeninteressen, die Reinigungsfachkraft leider nicht. Jeder ist sich halt selbst am nächsten.

      Da ist es ja nur natürlich, dass der Kunde als Streikbrecher diffamiert wird, weil er ja die Unverschämtheit hat und transportiert werden will.

      Brave new World

  • K
    K&K

    Die EWG, EG, EU war immer das Konstrukt der Unternehmenseigner und Konzerne.

    Dem Bürger hat das nur dort etwas genützt, wo es Konzerne nicht gestört hat.

    Viele Regelungen und Bestimmungen der EU sind bewusst für kleine Unternehmen zu aufwendig, für große jedoch ohnehin notwendig. Weil es dem Handeln großer Konzerne entspricht und Konkurrenz durch kleine Mitbewerber reduziert.

     

    Verbraucher, Kunde: Das ist ein Bürger, reduziert auf sein Konusumverhalten. Der Verbraucher soll möglichst in seinen nationalen und regionalen Grenzen gehalten werden. Mit Bestimmungen, die nur dann einheitlich sein dürfen, wenn es der Verwaltung dient, nicht dem Bürger.

    Streiks stören das Streben nach Profit, daher sucht man seit jeher Möglichkeiten, sie einzugrenzen.

     

    Hier kommt wieder die Schule ins Spiel: Wenn Kinder nicht mehr lernen, wie Freiheit, Recht und Demokratie funktionieren, wenn sie nicht mehr lernen, die Anfänge zu durchschauen, dann fällt es leichter, ihnen als Erwachsene ein Recht nach dem anderen wieder abzunehmen und zu einem feudalen Europa zurückzukehren. Das ist das erklärte Ziel aller Konservativen. Sie träumen von einer Welt wie vor 120 Jahren.

  • Die Kundin hatte, hat und wird hoffenlich nichts zu melden haben. Wäre ja noch schöner wenn sie sich einfach eine Bahn aussuchen könnte. Bezahlen warten, darin haben wir die Kundinnen nur über Jahrzehnte gewöhnt. Dies sind die Hauptaufgaben des Kunden. Zuviel Gegenleistung wie Pünktlichkeit verdirbt nur den Charakter. Und der Mensch ist ja ein Gewohnheitstier. Das wollen wir doch nicht ändern.

    Was wären wohl die Feiertage ohne die ganzen Verspätungen. Die Kundinnen freuen sich nach dem Warten umso mehr wieder die Lieben zu sehen.

    Danke für die nette Werbung für ihr Monopolunternehmen

    Liebe Grüße

    Ihre Fantasiebahn

    • B
      BigRed
      @Demokrat:

      Ganz im Unterschied zu den exquisiten Dienstleistungen der privatisierten englischen Bahnen, richtig?

      Unterhalten Sie sich mal mit einem Briten oder Italiener darüber, wie beeindruckend die die deutsche Bahn finden. Oder mit einem Nutzer einer komplett in der öffentlichen Hand liegenden Bahn wie der schweizer oder französischen, wie irritierend die einige Auswüchse der profitorientierten DB finden.

      • @BigRed:

        Die anderen Beispiele kenne ich leider nicht (UK, IT).

        Mir genügt auch mein persönlicher Eindruck und die Erfahrung der letzten Jahre um die exquisite Kundenorientierung hier in D zu loben.

        P.´S: Bitte in der Schweiz nicht im Zug auf die Toilette gehen wenn er im Bahnhof ist. Das könnte auf den Schotter gehen.

    • DB
      Demokratie braucht Bildung
      @Demokrat:

      Menschen sind nicht mit Kunden gleichzusetzen. Und die Interessen von Menschen nicht mit den Interessen von Konzernen.

      • @Demokratie braucht Bildung:

        Das sagen wir doch. Kunden sind keine Menschen.

        • UE
          und eingeschalteten Verstand
          @Demokrat:

          Menschen sind nicht als dasselbe anzusehen wie Kunden: Kunden sind Menschen, Menschen können auch Kunden sein, sind es aber nicht nur/ausschließlich/wesentlich.

  • LS
    Long Silver Ironhorse Raider

    An und für sich ist der Bahn-Kunde nicht irgendein Kunde. Vermutlich einige derer, die sich ganz dolle ärgern, streiken nämlich ungewollt andersherum mit.

     

    Möglicherweise kann man sich nämlich kein Taxi zum Arbeitgeber leisten.

     

    Nun sollte das nicht bedeuten, dass der Kunde - insofern mit Realitätsbonus - tatsächlich ein Streikbrecher wäre, wenn wegen ihm der Streik unterbrochen würde.

     

    Dumm nur, dass sein eigener "Streik" ja oft schon ohne Bahngewerkschaft durch die vielen Verspätungen bestärkt wird. Und die werden vermutlich um so mehr, desto weniger Streiks der Bahnarbeiter*innen unterstützt werden - durch die Kund*innen.

  • U
    unsereiner

    Die EU unterscheidet nicht mehr viel von einer Diktatur. Und sie schreitet munter weiter.