Kommentar Steuerskandal: So kriminell wie möglich
Alle Bundesregierungen seit dem Beginn der neuen Globalisierung Mitte der 1970er haben es versäumt, wirksame Regeln gegen Steuerhinterziehung durchzusetzen.
Der mutmaßliche Steuerhinterzieher Klaus Zumwinkel ist vielleicht nur eine Ausnahme. Nach Stand der Dinge sind auf der Liste der Steuerfahnder nicht sämtliche Vorstände der großen deutschen Aktiengesellschaften versammelt, sondern eher Firmen der zweiten und dritten Liga. Das ist kein Grund zur Beruhigung. Bedeutet es doch, dass nicht nur die internationale Champions League der Konzerne, sondern auch der gehobene Mittelstand mit dem Virus der Kriminalität infiziert ist.
Als die Steuerfahnder am vergangenen Donnerstag den damaligen Post-Vorstand Zumwinkel wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung verhörten, war das der Auftakt für Ermittlungen gegen etwa 1.000 vermögende Bürger. Angesichts der Größenordnung warnt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt davor, die moralische Integrität der Unternehmer insgesamt infrage zu stellen. 1.000 Einzelfälle freilich sprengen die Dimension individuellen Fehlverhaltens. Daran, dass die Manager transnationaler Konzerne es mit nationalen Gesetzen und Wertvorstellungen nicht immer so genau nehmen, hat man sich schon fast gewöhnt. Nun aber geraten auch die Familienunternehmen und Personengesellschaften, die sogenannten Leistungsträger, in den Fokus. Von ihnen hieß es bislang immer, dass sie sich höhere ethische Standards leisten könnten, weil sie nicht unter dem harten Diktat der Finanzmärkte stehen.
Mit Diskursen über Moral und individuelles Wohlverhalten kommt man hier nicht mehr weiter. "Gelegenheit macht Diebe", spricht der Volksmund. Die Stärke oder Schwäche ethischer Standards sind unter anderem abhängig von der Entwicklung der politischen Institutionen. Man ist so korrupt, wie die Institutionen es erlauben. Welche Verantwortung trägt also die Politik? Sämtliche Bundesregierungen seit dem Beginn der neuen Globalisierung Mitte der 1970er-Jahre haben es versäumt, wirksame europäische Regeln gegen die systematische Steuerhinterziehung durchzusetzen. Wenn die Mehrheit der europäischen Staaten die Regierungen von Steueroasen wie Liechtenstein, Monaco oder Luxemburg weiter gewähren lässt, braucht sie sich über das Verhalten der Wirtschaftseliten nicht zu wundern.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?