Kommentar Steuersenkungen: Bauch und Hirn der Mittelschicht
Die Details der Steuerreform mögen noch strittig sein, doch der ideologische Rahmen steht. Diese Robin-Hood-Rhetorik der Regierung ignoriert wissentlich Fakten.
FDP und Union sehen in den Umfragen ihre Mehrheit in Nordrhein-Westfalen schwinden - also werben sie um Stimmen, indem die schwarz-gelbe Bundesregierung baldige Steuererleichterungen verspricht. Dieses Gerücht war am Donnerstag in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, und naheliegend ist dieser Gedanke ja. Wenig später dementierten Liberale und Union diese Meldung zwar energisch. Trotzdem wurde im Wirrwarr der Stellungnahmen deutlich: Eine Steuerreform kommt - wenn auch nicht unbedingt noch vor der NRW-Wahl.
Die Reformdetails mögen noch strittig sein, doch der ideologische Rahmen steht. Den Bürgern wird eingehämmert, es gebe eine "kalte Progression" und einen "Mittelstandsbauch", die beide dringend zu bekämpfen seien. Nie fehlt zudem der Hinweis, dass man vor allem die Geringverdiener und die Mittelschicht entlasten wolle.
Ulrike Herrmann ist Finanzredakteurin der taz.
Diese Robin-Hood-Attitüde der Regierung ignoriert wissentlich die Fakten. Mit einer Reform der Einkommensteuer kann man Geringverdiener und weite Teile der Mittelschicht gar nicht entlasten, weil sie schlicht gar keine Einkommensteuer mehr zahlen. Die untere Hälfte der Einkommensbezieher verdient so wenig, dass sie nur etwa fünf Prozent zum Gesamtaufkommen bei den Einkommensteuern beitragen. Jede Entlastung kommt also vor allem den Besserverdienenden zugute.
Bleibt die Frage, wie eine solche Steuererleichterung überhaupt finanziert werden soll. Die vergangenen Reformen waren jedenfalls bitter: Erst wurde die Einkommensteuer gesenkt, wovon vor allem die Eliten profitierten. Anschließend stieg die Mehrwertsteuer, die jeder zahlen muss. So dumm können die Wähler doch gar nicht sein, dass sie auf diesen Trick schon wieder reinfallen.
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