Kommentar Steuersenkung: Kanzlerin mit zittriger Hand
Der Protest führender CDU-Politiker gegen Angela Merkels Einlenken im Steuerstreit mit der CSU ist ein nur Vorgeschmack darauf, was Merkel noch bevorstehen dürfte.
Ralph Bollmann ist Leiter des Parlamentsbüros der taz.
Es ist eine jener Fehlentscheidungen, die ihre Wirkung wie ein schleichendes Gift erst langsam entfalten. Der Protest führender CDU-Politiker gegen Angela Merkels Einlenken im Steuerstreit mit der CSU ist ein nur Vorgeschmack darauf, was Merkel noch bevorstehen dürfte. Monatelang hat sie in ihrer Funktion als Parteivorsitzende einen Großteil der Kraft darauf verwendet, die Forderung nach raschen Steuersenkungen abzuwehren. Am Ende sind ihr die Christdemokraten, teils widerwillig, geschlossen gefolgt. Ihnen sendet Merkel mit ihrem Kursschwenk nun ein klares Signal: Wer der Chefin folgt, ist am Ende der Dumme. Wer es wie CSU-Chef Horst Seehofer an Loyalität in jeder Hinsicht fehlen lässt, setzt sich durch.
Auch als Regierungschefin hat Merkel verloren. Mit ihrer Haltung, in der Rezession Kurs zu halten und nicht jeden Unsinn als vermeintliches Konjunkturprogramm zu beschließen, hätte sie Profil als Krisenkanzlerin gewinnen können. Nur hätte sie diese Position offensiv vertreten müssen, statt sich einmal mehr alle Optionen offenzuhalten und am Ende doch den lautesten Forderungen nachzugeben. Als fatal erwies sich auch, dass sie sich im unionsinternen Streit stets hinter der SPD verschanzte. Das Nein zu Steuersenkungen stellte sie nicht als eigene Position dar, sondern als Sachzwang der großen Koalition. Deshalb stand sie plötzlich mit leeren Händen da, als der Widerstand der Sozialdemokraten bröckelte und Seehofer sie zu einer unionsinternen Vorfestlegung zwang.
Schließlich hat Merkel nun auch den letzten Glauben an die finanzpolitische Seriosität der großen Koalition zerstört. Einmalige Haushaltslöcher durch Steuerausfälle oder Konjunkturprogramme hätte die Regierung noch als vorübergehendes Phänomen darstellen können. Für dauerhafte Steuersenkungen gilt das nicht mehr. Sie werden zudem eine zweite Amtsperiode Merkels nach der erhofften Wiederwahl belasten, weil durch wachsende Defizite spätestens 2010 eine neue Runde von Sozialkürzungen ansteht. Dann wäre Merkel in der gleichen Situation wie schon Gerhard Schröder nach der Wahl 2002 - in der Zwickmühle zwischen unpopulären Entscheidungen und schwindender Autorität in der eigenen Partei. RALPH BOLLMANN
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