Kommentar Sterbehilfe für Kinder: Selbstbestimmt ins frühe Ende
Sterbehilfe für Kinder? In den Medien hat das zu gruseligen Assoziationen geführt. Doch sie gibt Sicherheit in einer schwierigen Ausnahmesituation.
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I m belgischen Parlament herrscht fast einhellige Zustimmung zu dem neuen Gesetz, das die Altersgrenze bei Sterbehilfe aufheben wird. Doch schon im Vorfeld schlagen die Wellen in internationalen Medien hoch: Von „Kinder töten“ ist die Rede, von „Giftspritze“ oder „legalem Suizid“. Und die Tatsache, dass in den belgischen Landessprachen von „Euthanasiegesetz“ die Rede ist, komplettiert die gruseligen Assoziationen.
Berechtigte Bedenken bleiben. Die Gruppe derer, die Sterbehilfe beantragen können, wächst. „Wo hört das auf?“, fragen manche – zumal es in Belgien Bestrebungen gibt, künftig auch Demenzkranke mit einzubeziehen. Wer wird die Kriterien, wer die Regeln festlegen? Was bedeutet die Tatsache, dass Sterbehilfe billiger ist als Palliativmedizin, in einer Gesellschaft, die auch den Pflege- und Gesundheitsbereich dem Markt unterwirft?
Übersehen wird häufig, dass das belgische Sterbehilfegesetz in einer Situation extremen Leidens eine legale Möglichkeit eröffnet. Leichtfertig wird eine solche Entscheidung nicht getroffen, zumal neben der Erklärung der Minderjährigen auch eine der Eltern nötig ist, ein psychologisches Gutachten und Zustimmung mehrerer Ärzte.
Nicht zuletzt will man verunsicherten Patienten in einer rechtsunsicheren Praxis einen verbindlichen Rahmen geben. Der berücksichtigt die Ausnahmesituation, die immer unter großer emotionaler Belastung für die Betroffenen entsteht.
Dem belgischen Verfahren muss man nicht zustimmen. Doch diese komplizierte Ausgangslage zu leugnen ist unlauter und suggestiv. Zweifellos wird diese Entscheidung Signalwirkung haben – auch in Deutschland, wo das Thema ohnehin zur Diskussion steht. Der sollte man sich stellen, ohne Angst, dass dadurch alle Dämme brechen. Die Frage nach Selbstbestimmung am Ende des Lebens ist es wert.
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