Kommentar Stasi-Fälle: Der Faktor Glaubwürdigkeit
Bei ihren Stasi-Fällen macht die "Berliner Zeitung" alles richtig: Sie verspricht Aufklärung und Selbstauskunft fast aller Redakteure. Auch wenn das bitter ist.
Immer wieder schweigen Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit über ihr Tun, bis sie von anderen enttarnt werden. Die psychologischen Muster von Verdrängung und Verleugnung, die dem zugrunde liegen, werden jedes Mal ausführlich beschrieben, wenn ein prominenter IM auffliegt.
Sie sind auch jetzt interessant, im Fall der beiden Berliner Zeitung-Redakteure Ingo Preißler und Thomas Leinkauf. Während Preißler begonnen hat, sich zu erklären, schweigt Leinkauf, der die Seite drei und das Magazin des Blattes verantwortete. Doch: Vor allem die Leser der Berliner Zeitung haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie er seine IM-Tätigkeit heute beurteilt und - auch wenn das schwierig ist - welchen Einfluss seine Vergangenheit auf seine Arbeit als Redakteur hat. Immerhin hat er sich dabei auch mit DDR-Geschichte und der Stasi befasst. Journalisten stellen Öffentlichkeit her, darum hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, zu erfahren, wen sie vor sich hat.
Zeitungen leben von ihrer Glaubwürdigkeit. Ist diese gefährdet, ist die Zeitung in Gefahr. Die Redaktion der Berliner Zeitung hat daher in der vergangenen Woche alles richtig gemacht: Sie hat die betroffenen beiden Redakteure zunächst von ihren Aufgaben entbunden, sie macht die Reaktion der Leser und Kollegen transparent, verspricht Aufklärung durch eine unabhängige Untersuchung und eine Selbstauskunft fast aller Redakteure. Auch wenn es bitter ist, dass gegen sie nun quasi die Unschuldsvermutung aufgehoben ist, ist das Prozedere notwendig.
Dass es bei der Aufdeckung der IM-Fälle natürlich einen Subtext gibt - den Machtkampf zwischen Redaktion und Chefredakteur nach der Übernahme der Zeitung durch den Investor Mecom -, ist dabei zu vernachlässigen. Es wäre nicht angemessen, schöbe sich in der Debatte das Argument in den Vordergrund, auf Leinkaufs Kosten würden redaktionsinterne Konflikte ausgetragen. Dann würde der ehemalige Stasi-Spitzel nämlich auf einmal vom Täter zum Opfer. Und das ist weder den Lesern von heute noch den Verratenen von damals zuzumuten. HEIKE HOLDINGHAUSEN
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