Kommentar Spesenskandal in Großbritannien: Kein Grund zur Selbstgefälligkeit
Der britische Spesenskandal zieht immer weitere Kreise. Die Krise des Vertrauens in die parlamentarische Demokratie hat zugenommen. Eine Grundsatzdiskussion ist deshalb dringend notwendig.
E s ist auf den ersten Blick unverständlich, wie ein Skandal um ungerechtfertigte Wohnkostenabrechnungen von Abgeordneten eine fest etablierte, ehrwürdige parlamentarische Demokratie an den Rand einer Staatskrise führen kann. Aber was Großbritannien in diesen Tagen erlebt, ist weniger wegen der - im internationalen Vergleich relativ geringen - Summen wichtig: Der Skandal ist ein Symptom für die zunehmende Unfähigkeit der politischen Klasse nicht nur in London, mit den Realitäten der globalisierten Welt souverän umzugehen, sich auf Augenhöhe mit dem Volk zu bewegen und die Herausforderungen einer beispiellos komplexen Wirtschaftskrise zu meistern.
Dominic Johnson ist Redakteur im Auslandsressort der taz.
Wer bei seinen eigenen Nebenkosten schummelt und sich monatelang heftig gegen mehr Transparenz wehrt, dem traut man nicht zu, eine kriselnde Bank zu retten, geschweige denn eine Volkswirtschaft zu sanieren oder auch nur im Alltagsgeschäft die Interessen seiner Wähler zu vertreten.
Die Krise des Vertrauens in die parlamentarische Demokratie ist nicht auf Großbritannien beschränkt. Von Griechenland über Lettland bis Island haben europäische Länder allein im letzten halben Jahr schwere Erschütterungen und Vertrauensverluste in die Kompetenz ihrer Regierenden erleben müssen. Ganz zu schweigen von Staaten in ärmeren und instabilen Weltregionen, die sich meist ohnehin nur mit einer mal mehr, mal weniger akzeptablen Mischung von Zuckerbrot und Peitsche vor ihren Bürgern legitimieren können.
Immerhin werden nun in London Grundsatzfragen diskutiert: das richtige Profil von Parlamentariern, die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit, das ideale Verhältnis von Mandatsträger und Partei, von Legislative und Exekutive. Und aller Voraussicht nach wird es bald in Großbritannien einen Regierungswechsel geben, der zumindest den politischen Rahmen für einen Neuanfang bieten könnte.
Von diesen Grundsatzdiskussionen könnte nicht nur Deutschland lernen, wo heute die Selbstgefälligkeit angesichts von sechzig Jahren Grundgesetz und Bundesrepublik überwiegt; die Debatte betrifft auch eine politisch gelähmte EU, die sich zunehmend darauf beschränkt, ihre schiere Existenz als hinreichenden Grund zur Zufriedenheit anzusehen. Sage keiner, außerhalb Großbritanniens seien alle so glücklich mit ihren Institutionen, dass ihnen schmerzhafte Fragen über deren Zukunft erspart blieben.
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