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Kommentar SparpaketDie asoziale Regierung

Eva Völpel
Kommentar von Eva Völpel

Die Regierung handelt nicht einfach nur kurzsichtig: Sie verfolgt gezielt eine Agenda der Umverteilung von unten nach oben, eine Zweiklassenpolitik.

D as Sparpaket ist im Kabinett verabschiedet. Und da im politischen Tagesgeschäft das Mittel- und Langzeitgedächtnis schnell aussetzt, lohnt es sich, noch einmal an Stimmen aus den ersten Monaten der Finanzmarktkrise zu erinnern. Damals, als die Frage aufkam, wie denn all das Geld wieder reinkommen soll, das zur Rettung der Banken und für Konjunkturpakete bereitgestellt und ausgegeben wurde, sagten viele: "Sozialkürzungen wird es jedenfalls nicht geben, das können sie nicht machen."

Sie können - und wie. Während die Reichen und Vermögenden, die an Finanzmarktspekulationen jahrelang kräftig verdient haben, von Sparanstrengungen verschont bleiben, während die Luftverkehrsunternehmen die ihnen abverlangte neue Steuer auf den Ticketpreis aufschlagen und die Regierung die Energieunternehmen zum Feilschen in Sachen Brennelementesteuer an den Tisch bittet, müssen die unteren Einkommensklassen und die Empfänger von Transferleistungen die Hauptlast schultern.

Daran sollte man auch noch denken, wenn die Politiker der Koalition - natürlich mit größtmöglicher Betroffenheit - neue Zahlen über Kinderarmut kommentieren: Schließlich hat Bundesfamilienministerin Kristina Schröder Vätern und Müttern im Hartz-IV-Bezug das Elterngeld aberkannt. Oder wenn die nächste Kampagne gegen angeblich arbeitsscheue Hartz-IV-Empfänger losgetreten wird: Denen hat schließlich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen bis einschließlich 2014 16 Milliarden Euro für Förderprogramme gestrichen, die helfen sollten, leichter wieder einen Job zu finden. Kontraproduktiv ist das Ganze übrigens auch für die Erhöhung der Beschäftigungsquote - die der Ministerin in diesen Tagen ja so gern als Argument für die Rente mit 67 dient. Zumal langfristig ein Mangel an Fachkräften droht.

Doch die Regierung handelt nicht einfach nur kurzsichtig: Sie verfolgt gezielt eine Agenda der Umverteilung von unten nach oben, eine Zweiklassenpolitik. Sie handelt im wahrsten Sinne des Wortes asozial. Daran sollte man auch noch in den politischen Auseinandersetzungen der kommenden Monate denken, wenn etwa die Kommunen neue Hiobsbotschaften über die ihnen wegbrechenden Finanzgrundlagen verbreiten. Und dagegen muss sich vor allem der politische Widerstand organisieren.

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Eva Völpel
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1976. Ist seit 2009 bei der taz und schreibt über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie die Gewerkschaften
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6 Kommentare

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  • TS
    theodor sabiote gruen

    Bravo, ich finde das Wort 'asozial' trifft den Nagel auf den Kopf. Es sollte viel häufiger verwendet werden, um ein Verhalten zu beschreiben, das schädlich für ein soziales Gefüge (Gesellschaft) ist, also antisozial. Ist doch passend gut gekleidete Bonzen/Politiker mal Assis zu nennen, wenn sie sich antisozial Verhalten.

     

    Siehe dazu auch mal wieder die Wiederpedia:

     

    „Der Begriff asozial ist als Gegenbegriff zu „sozial“ gebildet, wird jedoch oft im Sinne von „antisozial“ (= gemeinschaftsschädigend) verwendet. Beides sind Kunstworte, aus griech. „a-“ (deutsch „un-“) bzw. „anti-“ (deutsch „gegen-“) plus lat. „socialis“ (für „gemeinschaftlich“). „Asozial“ bezeichnet an sich ein von der geforderten oder anerkannten gesellschaftlichen Norm abweichendes Individualverhalten: Ein Individuum vollzieht seine persönlichen Handlungen ohne die geltenden gesellschaftlichen Normen und die Interessen anderer Menschen zu berücksichtigen. Der Begriff „asozial“ wird aber auch häufig auf Gruppen bezogen, die in ihren Verhaltensweisen von den geforderten gesellschaftlichen Normen (z. T. bewusst) abweichen. Im Nationalsozialismus und in der DDR haben die Machthaber den Begriff „asozial“ zum Rechtsbegriff gemacht und daraus die Verfolgung von unangepassten sozialen Gruppen juristisch abgeleitet. Zur Zeit des Nationalsozialismus konnten Menschen aufgrund ihnen vorgeworfener Asozialität in Konzentrationslagern interniert werden.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Asozialit%C3%A4t#Begriff

     

    Viellicht kann ich in ein paar Jahren ja den Wikipedia-Eintrag ergänzen:

     

    Im frühen 21. Jahrtausend wurde dann das Wort erneut benutzt, um gemeinschaftsschädigendes Verhalten zu betonen.

  • L
    Lenny

    Wenn wir schon von dem schwachen Gedächtnis reden, dann sollte nicht vergessen werden, dass die heutige Regierung nur das weiterführt, was die SPD und die GRÜNEN geschaffen haben!

  • A
    Amos

    Schlechte Demokratie schafft Diktatur. Die Diktatur kommt nicht von Irgendwo. Geht Sarrazin zu den Rechten wie Lafontaine zu den Linken, dann haben wir schon einen Fortschritt. Denn diesen Selbstbereicherungs-Taktikern, geht alles was das einfache Volk angeht. am Arsch vorbei.

  • E
    eWolf

    @Herr Stegemann:

    Ihre semantische Analyse des Wortes asozial mag stimmen. Mir scheint es aber wichtiger zu sein, was die Autorin des Kommentars als Konsequenz ausführt, nämlich, dass die Betroffenen dieser neuen Regelungen nun langsam aufwachen müssten. Es wäre daher hilfreich, wenn wortgewandte Leute wie Sie sich der Mühe unterzögen, die Problematik so zu formulieren, dass sie auch den Betroffenen verständlich wird. Hier wartet viel Arbeit auf diejenigen, die noch nicht im Prekariat gelandet sind und dennoch daran glauben und daran arbeiten, dass es eine Verteilungsgerechtigkeit geben kann.

    In diesem Sinne: Nur keine Scheu vor der einfachen Sprache!

  • RN
    Ralf Nix

    Na wer hätte das denn gedacht? Eine schwarz- gelbe Regierung die Vermögende entlastet und den Rest zur kasse bittet. Überraschung. Die spannende Frage war doch nur noch WIE das Ganze geschieht und nicht OB. Also nicht darüber jammern sondern was dagegen tun. Jede und jeder hat die Möglichkeit zu demonstrieren und beim nächsten Mal wählen zu gehen (oder was anderes zu wählen).

  • DS
    Dirk Stegemann

    "Sie handelt im wahrsten Sinne des Wortes asozial." ???

     

    Nachlesen unter:„Asozial“ – über ein Stigma

    http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/debatte/kommentare/asozial-ueber-ein-stigma/

     

    oder: http://marginalisierte.de/

     

    "Wer sich mit der Geschichte sowie der Entwicklung von sozialer Ausgrenzung und seinen Kontinuitäten und Brüchen bis in die heutige Zeit auseinandersetzt, wird schnell auf das Stigma „asozial“ stoßen. Dabei ist festzustellen: Die Verfolgung von sogenannten Asozialen ist zwar seit langem bekannt, die Forschung und Aufarbeitung dazu wurde aber erst in jüngster Vergangenheit begonnen. Heute noch wird das Stigma benutzt, um die Schuld an sozialen Missständen den Betroffenen selbst in die Schuhe zu schieben."

     

    "Was ist sozial?

     

    "Abgesehen davon, dass ein unreflektierter Umgang mit dem Begriff für eine Geschichtsvergessenheit spricht, offenbart dies auch eine sehr fragwürdige Herangehensweise. Denn was sozial ist, wurde zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich definiert und ist nicht zuletzt eine Frage gesellschaftlicher Verhältnisse (u.a. von Macht und Herrschaft, Besitz- sowie Verteilungsverhältnissen und deren Legitimierung). So sind bestimmte Normvorstellungen in einer sozialen Gruppe als normal oder der Norm entsprechend angesehen, in einer anderen Gruppe aber gerade nicht. In letzterer werden sie entsprechend auch nicht notwendigerweise als bewusste Verletzung der Normvorstellung anderer wahrgenommen. Normen und das darauf bezogene Handeln sind also relativ. Eine humanistische Gesellschaft und Demokratie beweist sich gerade auch im Umgang mit jenen, die von der postulierten Norm abweichen. In der heutigen Gesellschaft werden Menschen förmlich gezwungen, von der „Norm“ bspw. der Erwerbstätigkeit abzuweichen. Diese soziale Ausgrenzung braucht Stigmatisierung. Statt sich aber an der Stigmatisierung zu beteiligen, sollte lieber die soziale Ausgrenzung und deren gesellschaftliche Wurzeln bekämpft werden. Die Weiterverwendung des Stigmas „asozial“, egal gegen wen und in welcher Form, ist dafür jedoch ungeeignet!"