Kommentar Sozialtarife bei Strom und Gas: Bitte pragmatisch bleiben
Der Sozialtarif ist Populismus in Reinform. Den Privatanbietern auf dem Strommarkt kann man keine Tarifvorgaben mehr machen. Besser der Staat erhebt Energiesteuern mit Ökobonus
Für Politiker und Verbände sind die steigenden Energiepreise eine schöne Gelegenheit, mal wieder in die Medien zu kommen. Sozialtarife bei Strom und Gas und als Nächstes womöglich auch an der Tankstelle - das klingt gut, weil es den Eindruck erweckt, hier habe einer die Sorgen der einfachen Leute begriffen. Und vor allem lässt sich das Thema in eine griffige Schlagzeile verpacken, die jedermann versteht. Der Sozialtarif ist ein typisches Bild-Zeitungs-Titel-Häppchen.
Anders gesagt: Er ist Populismus in Reinstform - denn das Ansinnen ist systemwidrig. Wir haben liberalisierte Energiemärkte, und die Anbieter sind keine Staatsfirmen mehr, denen man Tarifvorgaben machen kann. Wir haben die freien Energiemärkte gewollt und sollten nun auch dazu stehen, dass sich die Preise im Markt bilden.
Natürlich müssen wir trotzdem dafür Sorge tragen, dass sich auch bei steigenden Energiepreisen jeder in unserem reichen Land eine warme Wohnung und den Strom für den Kühlschrank leisten kann. Nur sollte man dazu Wege wählen, die kompatibel sind mit unserem Energiewirtschaftssystem.
Da gibt es mehrere, die alle vortrefflich funktionieren. Zwei seien genannt. Der Staat könnte die Einnahmen aus dem Verkauf der CO2-Emissionszertifikate in Form erhöhter Transferleistungen an die Bedürftigen ausschütten. Und die zweite Möglichkeit ist noch eleganter: Der Staat entlastet die Kleinverbraucher durch den Ökobonus, den die Grünen diskutieren. Und der funktioniert so: Man erhebt eine Energiesteuer, die am Ende pro Kopf wieder ausgeschüttet wird. Das klingt zwar nach Verteuerung, doch das trügt. Denn weil jeder entsprechend der Höhe seines Energieverbrauchs einzahlt, im Gegenzug aber eine Ausschüttung erhält, die für alle gleich ist, profitieren all jene, der weniger Energie verbrauchen als der Durchschnittsbürger. Denn sie kriegen schlicht mehr zurück, als sie eingezahlt haben. Diese Variante hat allerdings einen entscheidenden Nachteil: Sie braucht ein paar Sätze der Erklärung und passt daher nicht in die Bild-Schlagzeile. BERNWARD JANZING
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Unmut in der CDU
Merz muss sie vor den Kopf stoßen
Kritik an ARD und Didi Hallervorden
Das träge und schwerfällige Walross
Parteichef unter Druck
Lokale CDU-Verbände kritisieren Merz
Stromverbrauch explodiert durch Hitze
Erneuerbare auf Rekordhoch, Emissionen auch
Kindererziehung nach Trennung
„Das Finanzamt benachteiligt Nestmodell-Eltern“
Handelsstreit mit den USA eskaliert
Trump gibt Peking bis Mittag Zeit