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Kommentar Selbstverbrennung in VietnamVertracktes Fanal

Sven Hansen
Kommentar von Sven Hansen

Der Westen darf nicht wegschauen, wenn beim Partner Vietnam Menschenrechte mißachtet werden. Auch darauf weist die Selbstverbrennung hin.

M it einer Selbstverbrennung hat die vietnamesische Mutter Dang Thi Kim Lieng am Montag gegen die Verhaftung ihrer bloggenden Tochter protestiert. Der Regimekritikerin wird nächste Woche der Prozess gemacht, bei dem ihr bis zu 20 Jahre Haft drohen. Die Mutter war offenbar so verzweifelt, dass sie auf ein radikales Zeichen zurückgriff, welches in Vietnams Geschichte schon einmal weltweit für Aufsehen gesorgt hatte.

Am 11. Juni 1963 verbrannte sich der buddhistische Mönch Thich Quang Duc aus Protest gegen das von den USA gestützte Diem-Regime in Saigon. Er fand zahlreiche Nachahmer in Vietnam wie in den USA. Ducs Tod leitete auch Diems Ende ein, der bald mit Rückendeckung Washingtons weggeputscht wurde.

Das Foto des brennenden Mönches wurde 1963 zum Pressefoto des Jahres gewählt. In seinem früheren Kloster beim zentralvietnamesischen Hué werden noch heute dieses Foto wie der Wagen zur Schau gestellt, mit dem der Mönch zu seiner Verzweiflungstat fuhr. Angsichts der politischen Strukturen Vietnams kann davon ausgegangen werden, dass die anhaltende Verehrung Thich Quang Ducs von der herrschenden KP gewollt ist.

Bild: taz
Sven Hansen

ist Redakteur im Auslandsressort der taz.

Eine ähnliche Verehrung wie Aufmerksamkeit dürfte die 64-jährige Lieng jetzt nicht erfahren. Zwar kritisieren westliche Regierungen einschließlich der USA gelegentlich auch die Menschenrechtsverletzungen in Vietnam. Doch während diese vergleichbar mit denen in China sind, sind die Töne leiser und die westliche Aufmerksamkeit geringer.

Vietnam, wo die Vorbehalte gegen China in Südostasien am größten sind, ist längst zum Verbündeten des Westens aufgestiegen. Doch wer Chinas Menschenrechtsverletzungen zu Recht kritisiert, darf zu denen in Vietnam nicht schweigen.

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Sven Hansen
Auslandsredakteur (Asien)
Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin
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1 Kommentar

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  • A
    anke

    Das Foto eines brennenden Mönches, welches anno 1963 angeblich das Ende eines vietnamesischen Herrschers von amerikas Gnaden "einleitete", wurde also zum Pressefoto des Jahres gewählt. Aha. Seither sind Selbstbverbrennungen aus Protest offenbar positiv besetzt. Für Redakteure mit Ambitionen zum Beispiel. So positiv, dass man so genau gar nicht mehr wissen will, wie die Sache eigentlich war.

     

    Hatte der Selbstmord womöglich nicht nur politische Hintergründe, sondern auch kulturelle? Hat Frau Dang sich geschämt für die Verhaftung ihrer Tochter, oder war sie stolz? Ging es bei dem "radikalen Zeichen" auch oder sogar primär um Land? War eine Depression im Spiel? War die Tat wohl überlegt oder eine Kurzschlussreaktion? Was war Ursache und was nur Auslöser? Haben Dritte "mitgewirkt", zum Beispiel beratend? Wie hat "die herrschende KP", von der nach Hansens Überzeugung "die anhaltende Verehrung" besagten Mönches (durch wen auch immer) "gewollt" ist (vermutlich, weil sie nicht mit militärischer Gewalt dagegen vorgeht), reagiert?

     

    Dang Thi Kim Lien kann all diese Fragen nicht mehr beantworten. Das ist gut für all jene, denen dieser Selbstmord in ihre Argumentation passt. Für ihre Tochter, die 43-jährige Bloggerin, die im Gefängnis auf ihren Prozess wartet, könnte dieser Selbstmord jedoch keine Heldentat sein, sondern eine mehrfache psychische Belastung. (Meine Lösung = dein Problem, ein Prinzip, dass dem gelernten Westler so bekannt sein dürfte, dass er es kaum noch als anstößig empfindet.) Was wird sie sich fragen? 'War es "das System" oder trifft vor allem mich die Schuld am Tod meiner Mutter? War es das wert? Wie kann ich mit solchen Konsequenzen weiterleben - notfalls auch im Gefängnis? Und wäre der praktische Beistand einer liebenden Angehörigen in den nächsten 20 Jahren nicht vielleicht dringender von Nöten gewesen, als der akut-dezente Jubel einer selbstverliebten West-Presse oder der heimliche Frust eines anonymen Staatsaparates?'

     

    Herr Hansen, schätze ich, wird wohl nicht an jedem möglichen Besuchstag trösten und aufbauen im Namen der Pressefreiheit westlicher Provenienz. Er wird sich anderen Storys zuwenden. Sehr bald schon. Genau wie die Kollegen. Und dann ist seine Heldin allein. Vielleicht wird sie nicht einmal mehr bloggen.