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Kommentar Schwule im IrakTolerant gegen die Intoleranz

Martin Reichert
Kommentar von Martin Reichert

Die Homosexuellen konnten sich noch nie auf Toleranz verlassen, sie brauchen Rechtssicherheit und aktiven Schutz vor Übergriffen. Im Irak ist das nicht gegeben.

D ie Menschenrechte gelten für alle, außer für Homosexuelle. Sie sollen sich mit Toleranz begnügen - zumindest kann man leicht diesen Eindruck gewinnen. Sogar der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hat in dieser Woche verkündet, dass er fürderhin beabsichtigt, seinen Lebensgefährten nicht mehr als Begleitung in Länder mitzunehmen, in denen Homosexualität strafrechtlich verfolgt wird: "Wir wollen den Gedanken der Toleranz in der Welt befördern. Aber wir wollen auch nicht das Gegenteil erreichen, indem wir uns unüberlegt verhalten" erklärte er.

Statt sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass jenen Homosexuellen aus den weltweit 75 Staaten, in denen sie verfolgt werden, ihr Menschenrecht auf sexuelle Selbstbestimmung gewährt wird, befördert die Bundesregierung nun also die Toleranz. Und zwar, indem sie tolerant gegen die Intoleranz ist.

Die Homosexuellen konnten sich noch nie auf Toleranz verlassen, sie brauchen Rechtssicherheit und aktiven Schutz vor Übergriffen - in Gefahr sind sie häufig auch ohne explizite Gesetzgebung. Die internationale Gemeinschaft muss also Druck auf die entsprechenden Regierungen ausüben - so wie es im Falle religiöser Minoritäten und auch im Hinblick auf die Rechte der Frauen längst zur Selbstverständlichkeit gehört. Die Homosexuellenfrage, eigentlich ein Indikator für den Zustand einer Gesellschaft und eng verknüpft mit der Frauenfrage, lässt man aber am liebsten unter den Tisch fallen. Sie anzusprechen wird als Zumutung empfunden.

Bild: taz

Martin Reichert ist Redakteur der Sonntaz.

Als Zumutung für die entsprechenden Länder, auf deren kulturelle oder religiöse Befindlichkeiten man Rücksicht nehmen zu müssen glaubt. Im Fall des Irak etwa hat sich weder die US-Regierung noch die britische jemals deutlich zu den Übergriffen auf Homosexuelle geäußert; sie haben auch nichts für die Sicherheit dieser Minderheit getan.

Zu früh sei es - so heißt es stets -, diese Probleme anzusprechen. Für sehr viele homosexuelle Iraker ist es längst zu spät, sie wurden ermordet. Die anderen können auf die Toleranz Deutschlands zählen. Asyl bekommen sie nicht.

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Martin Reichert
Redakteur taz.am Wochenende
* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien
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4 Kommentare

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  • B
    Blogger

    Bravo, Herr Bundesaußenminister!

     

    Vielleicht werden diejenigen, die den Guido immer gern als "Schwuchtel" bezeichnen, Ihnen (im In- und Ausland) dann ja ein wenig gnädiger gesinnt sein, wenn Sie "so tun", als seien Sie Single oder ... (wer weiß, vielleicht wissen ja einige in weit entfernten Ländern gar nichts über Ihre 'sündhafte Veranlagung' ) gar Hetero?

     

    "Diplomatie in Vollendung!" Genau das ist es, was unser Land braucht: Überangepasste (bis zur Selbstverleugnung), sich im vorauseilenden Gehorsam gefallende, Spitzenpolitiker.

     

    Ich glaube mir wird übel ...

  • SG
    solomom grundy

    Im Irak und schon vorher im Iran, in Pakistan und Afghanistan sowieso, passiert das, was bald auch hier passieren wird: Mosleme werden die Schwulen jagen. Machen sie ja schon, nur sagts keiner laut, aus Schiß wahrscheinlich, nämlich als Nazi verunglimpft zu werden oder von Muslemen verfolgt zu werden.

    Schizophrenie der taz: im Irak sind die Musleme böse, hier aber gut!

    Erst wenn die Lesben und Schwulen aus der Redaktion gesteinigt werden, werden die tazler wohl umdenken, aber dann ist es schon längst zu spät.

    Genau auf diese Tatsachen weist GEert Wilders hin; der wird hier und in diesem Organ aber als was wweiß ich für ein Rechter dämonisiert.

    Aufwachen!

  • K
    k.p.

    vor einiger zeit hat mich westerwelle mit der beteuerung verstört, er "trenne das arbeitszimmer vom schlafzimmer". damit hat er vorauseilend die leider weitverbreitete wahnidee bekräftigt, homosexualität sei eine "privatsache", etwas unpolitisches, unwichtiges, rein persönliches, das nicht in der öffentlichkeit besprochen werden müsse, ja vielleicht nicht einmal dürfe. dass das "privatleben" von heterosexuellen tagtäglich in aller öffentlichkeit und in der politik stattfindet, und dass das völlig in ordnung ist, blendet er aus.

     

    es gilt zweierlei maß: das homosexuelle wird privatisiert, das heterosexuelle darf überall gezeigt, bebildert und von parteien und kirchen propagiert werden.

     

    die folgen dieser "privatisierung" es homosexuellen sehen wir in den aktuellen diskussionen über die menschenrechte von schwulen und lesben: da werden schon mal so kleinigkeiten wie die todesstrafe für homosexuelle als "kulturelle eigenarten" abgetan, die man doch zu respektieren habe. der einsatz für die menschenrechte - in jedem anderen fall unhinterfragbar -, wird mit einzelgruppenlobbyismus verwechselt und im schlimmsten fall als westerwelles "privatinteresse" denunziert.

     

    das ist eben eine der konsequenzen, wenn homosexualität entpolitisiert und "privatisiert" wird: man kann sie dann wunderbar zum problem der betroffenen erklären, das niemanden sonst etwas angehe und für das sich auch niemand einzusetzen habe. und wenn zumindest die betroffenen selbst politisch aktiv werden, kann man es prima als selbstsüchtigen "lobbyismus" denunzieren, ein weiterer beleg für den moralfreien egoismus der "perversen", die ja ohnehin immer nur an ihren eigenen spaß denken.

     

    die behauptung, homosexualität sei privatsache, findet ihre logische parallele in der feststellung, die todesstrafe für homosexuelle sei eine "innere angelegenheit" des anderen staates.

     

    guidos satz, er "trenne das arbeitszimmer vom schlafzimmer" ist insofern keineswegs eine feststellung, die nur seine person betrifft. mit diesem satz erteilt er sich selbst und allen anderen die genehmigung, die politischen probleme von uns schwulen und lesben zu privatangelegenheiten zu erklären und ihnen folgerichtig mit kompletter ignoranz zu begegnen.

     

    das motto der liberalen ist hier wieder einmal: every man for himself.

  • I
    Interpretator

    Wenn alle Kulturen gleichwertig sind, wie in der interkulturellen Pädagogik gern behauptet, und wir darüber hinaus als "Westler" alles, was wir über den "Orient" sagen, nur sagen, um uns selber besser zu fühlen und nebenbei den Orient zu beherrschen (Eduard Said und Konsorten), haben wir auch kein Recht, uns da einzumischen.