Kommentar Schweizer Volksentscheid: Kopftuch, Burka und nun das Minarett
Gegen Vorurteile hilft nur das offensive Gespräch, das verantwortungsvolle Politiker, Publizisten und europäische Muslime führen müssen.
B ei Europas Rechtspopulisten und Rechtsextremen knallen seit Sonntag die Champagnerkorken. Die Schweizer Initiative, per Volksentscheid den Bau von Minaretten verbieten zu lassen, hat vorgemacht, wie sich mit simplen Parolen gesellschaftliche Mehrheiten gewinnen lassen. Indem sie an weit verbreitete Ängste vor allem Fremden appellierten, haben es Rechtspopulisten in Italien, Dänemark und Österreich bis in Regierungsämter geschafft. Mit dem Minarett haben sie nun - nach Kopftuch, Burkas und Moscheen - ein weiteres machtvolles Symbol gefunden, gegen das sich erfolgreich mobilmachen lässt. In Österreich haben FPÖ und BZÖ die Schweizer Kampagne längst kopiert, jetzt wollen auch holländische und dänische Demagogen die Idee übernehmen.
Auf deutsche Verhältnisse ist das Schweizer Beispiel nicht übertragbar: allein schon, weil es hierzulande juristisch nicht möglich ist, ein elementares Grundrecht wie die Religionsfreiheit per Volksentscheid infrage zu stellen. Außerdem dürften wohl doch zu viele Menschen verinnerlicht haben, dass es sich aufgrund der deutschen Geschichte verbietet, eine religiöse Minderheit so offen zu diskriminieren, wie es die Schweizer Minarettgegner planen. Dass es in Deutschland, anders als in vielen Nachbarländern, bisher noch keine rechte Partei gibt, die mit aggressiven Anti-Islam-Parolen gezielt auch in bürgerlichen Kreisen auf Stimmenfang geht, lässt jedenfalls hoffen.
Doch Ressentiments gegen den Islam gibt es auch in Deutschland, das haben die Debatten über den Moscheebau in Köln oder um Thilo Sarrazin gezeigt. Es wäre auch falsch, einfach zu übersehen, wie viele sich zu Recht von der Rhetorik des iranischen Präsidenten, der Militanz islamistischer Gruppen oder der rigiden Orthodoxie Saudi-Arabiens und der Taliban abgeschreckt fühlen und Phänomene wie Ehrenmorde oder gar Jugendgewalt zu Unrecht mit dem muslimischen Glauben in Verbindung bringen.
Daniel Bax ist Meinungsredakteur der taz.
Dagegen hilft nur das offensive Gespräch, das verantwortungsvolle Politiker, Publizisten und europäische Muslime führen müssen. Abgrenzen sollten sie sich dabei allerdings von Leuten, die unter vorgeblicher "Islamkritik" nichts anderes als das Schüren von plumpen Vorurteilen verstehen. Sonst darf man sich nicht wundern, wenn rechte Scharfmacher mit populistischen Kampagnen am Ende frohlocken.
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