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Kommentar SchulabschlüsseAusgebremster Standesdünkel

Eva Völpel
Kommentar von Eva Völpel

Immer wieder wird gerufen, das Abitur sei im Vergleich von ausländischen Abschlüssen zu deutschen Ausbildungsabschlüssen etwas Besseres. Das ist Humbug.

E s gibt in diesem Land Menschen, die das Abitur mit Zähnen und Klauen verteidigen. Besonders augenfällig wurde das zuletzt im Hamburger Schulstreit, als das Bildungsbürgertum alle Geschütze auffuhr, um seinen Nachwuchs vor einem längeren gemeinsamen Lernen mit den weniger Privilegierten zu bewahren.

Jetzt hat dieser Standesdünkel einen Dämpfer erhalten. Immer wieder hatten die Kultusminister und Philologenverbände in den vergangenen Monaten gerufen, die deutsche allgemeine Hochschulreife sei im Vergleich zu entsprechenden ausländischen Schulabschlüssen und zu deutschen Abschlüssen in Ausbildungsberufen etwas Besseres. Eines der immer wieder vorgebrachten Argumente: Nur in Deutschland befähige das Abi zum direkten Unizugang ohne weitere Prüfung.

Das jedoch, so zeigt ein Blick über die europäischen Grenzen, ist Humbug. In den meisten Nachbarländern dürfen die Schüler mit ihrem Abschlusszeugnis in der Tasche in die Hörsäle. Außerdem können mittlerweile auch deutsche Abiturienten ein Lied davon singen, dass an so mancher Hochschule spezielle Eingangsprüfungen abzulegen sind.

EVA VÖLPEL

ist taz-Redakteurin für Soziales und Arbeitsmarkt im Ressort Inland.

Die Absurdität der von den Kultusministern gewünschten Bewertung tritt zu Tage, wenn man das Szenario zu Ende denkt. Hätten sie sich durchgesetzt, dann hätte ein Abiturient, der nach der Schule eine Ausbildung aufnimmt und abschließt, seine berufliche Qualifikation entwertet. Ein wahrer Schildbürgerstreich.

Auch in fünf Jahren, wenn der Deutsche Qualifikationsrahmen überprüft wird, sollte sich also der unaufgeregte und realistische Blick auf das hiesige Bildungssystem durchsetzen. Sonst droht ein deutscher Alleingang in Europa, der die Vergleichbarkeit von Abschlüssen konterkarieren würde. Vor allem aber wäre eine Höherbewertung des Abiturs der beste Weg, den drohenden Fachkräftemangel noch zu befeuern. Denn etliche Fachkräfte lernen in dualen Ausbildungsgängen.

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Eva Völpel
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1976. Ist seit 2009 bei der taz und schreibt über Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie die Gewerkschaften
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6 Kommentare

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  • M
    Martin

    @hwester

     

    Es drängt sich der Verdacht auf, Sie haben ihre Schulbildung halbwach genossen, anders lässt sich ihr Vergleich von Äpfeln und Birnen jedenfalls kaum erklären.

     

    @Fischer

     

    Dass ein Bischof sich zu solchen Aussagen hinreißen lässt wundert mich nicht wirklich. Anders als Sie schenke ich dem aber keinen Glauben. Eine Entwertung halte ich für völlig aus der Luft gegriffen, eher das Gegenteil halte ich für zutreffend. Wer zwischen Schule und Studium schonmal gearbeitet hat, hat zumindest kurzfristig einmal das wahre Leben betreten.

  • F
    Fischer

    faktisch ist es aber doch so, dass man in vielen Studienfächern sein Abitur entwertet, wenn man zwischen Abitur und Studium eine Lehre macht.

    "Dann sind die Studenten nicht mehr so formbar, wenn sie ins Studium kommen", erklärte mir ein späterer Landesbischof.

  • J
    janus

    stimmt. nachdem man sich all die jahre viel mühe gegeben hat, das niveau des abiturs immer weiter zu drücken, um die abiturientenzahlen zu erhöhen. da muss ich immer an einen ausbilder beim bund denken, der meinte "und Sie wollen abitur sein.."

  • H
    hwester

    Es drängt sich der Verdacht auf, dass Frau Völpel ihr Abitur in Berlin, Bremen oder NRW (vor Einführng des Zentralabiturs) erhalten hat - oder noch niemals mit Gesellen gesprochen hat. Nur so lässt sich dieser Kommentar erklären. Herzliche Grüße von Baden-Württemberg (4,1% Arbeitslose) nach Berlin (13,2%).

  • I
    Ihr

    danke fuer den artikel!

     

    es geht den bewahrern des abiturs glaube ich auch sehr darum, ihren gesellschaftlichen status zu bewahren / versucht doch z.Zt. jede fachhochschule, sich in hochschule umzubenennen, um 'besser' dazustehen.

     

    Ich selbst habe mit studierenden aus anderen laendern studiert und promoviert und kann nur sagen: die waren genauso klug / gebildet / oder dumm, - je nach perspektive - wie ich auch, und das mit einem high school abschluss, und ohne je latein gelernt zu haben :) sieh einer an!

  • B
    Berne

    OH Göttin, als obs beim längeren gemeinsamen Lernen im Allgemeinen oder beim Hamburger Volksentscheid im Speziellen um die Abschaffung des Abiturs geganen wäre.

    Es geht dabei darum, ob man die Schüler, die dann letztendlich Abitur machen, schon in der 5. bzw. 7. Klasse von den anderen trennt oder erst in der 11.

    Mit dem Abitur als solchem hat diese Frage doch nullkommanull % zu tun.

    Auch wenn man die potentiellen AbiturientInnen erst in der 11. Klasse von den anderen trennt (also spätestmöglich, denn die anderen sind nach der 1o. Klasse in der Schule ja schlicht nicht mehr anwesend) bleibt das Abitur das Abitur.

     

    Son büschn minimale Sachkenntnis und minimaler Intelligenzquotient sollten für das Ergreifen des Journalistenberufes und erst recht für das tatsächlich-veröffentlicht-werden ja schon Voraussetzung sein.

    Ist aber offenbar nicht der Fall.

     

    Putzt Euch das "taz zahl ich " mal schön von der Backe. Da ist das Geld für die Verbesserung der Welt ja noch besser investiert, wenn ich es zu meinem eigenen Vergnügen verballere.