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Kommentar SPD und ihre BasisAngst vor Genosse August

Kommentar von Martin Reeh

Alle SPD-Mitglieder sollen über Schwarz-Rot abstimmen. Ein Akt der Demokratie? Eher sieht es so aus, also ob sich die Führung aus der Verantwortung stiehlt.

„Scheiße! Trotzdem, SPD“: die Parteispitze im Willy-Brandt-Haus am Wahlabend. Bild: ap

W as würde August jetzt eigentlich machen? August, der hessische Drucker, im Glasschrank die Ehrenurkunde für 40 Jahre SPD-Mitgliedschaft, ewig changierend zwischen Aufsässigkeit und Stolz, wenn ihn nur einer von oben zu würdigen weiß. Der Arbeiter ist vielleicht die am genauesten gezeichnete Figur des Kabarettisten Georg Schramm. August hat bei den Sitzungen seines Ortsvereins immer denselben Platz, den „Juso-Bub“ neben sich. Zu seinem 40-jährigen SPD-Jubiläum sangen die Genossen natürlich „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“.

Jetzt, vor den heute beginnenden Sondierungsgesprächen mit der Union, bestimmt die Angst vor August das Handeln der SPD-Führung; die Furcht, dass der Ärger unter einfachen Mitgliedern, kleinen und mittleren Funktionären eine Große Koalition unmöglich machen könnte.

Noch immer haben die Sozialdemokraten ein schwieriges, erratisches Verhältnis zur innerparteilichen Demokratie. Nach der Wahl 2009 versprach Parteichef Sigmar Gabriel eine größere Beteiligung der Mitglieder. Kanzlerkandidat Peer Steinbrück wurde 2012 dennoch von oben nominiert; wie üblich mussten die unteren Gremien anschließend zustimmen, um die Parteispitze nicht zu beschädigen.

Verantwortung wird auf die Basis abgewälzt

Den Tiefpunkt markierte vielleicht der Augsburger Parteitag im April, auf dem das Regierungsprogramm beschlossen wurde. Auf ganze fünf Stunden war die Veranstaltung angesetzt. Den Großteil davon verbrachten die Genossen damit, die Reden der Führung zu beklatschen. Das Programm wurde in aller Schnelle durchgewunken. Ein Event für die Medien, mit den Delegierten als Staffage. Ihre Anfahrt wird meist länger gedauert haben als der gesamte Parteitag.

Nun also erst der Parteikonvent der SPD am letzten Freitag, dann ein Mitgliederentscheid über eine Große Koalition. Das Muster hat sich kaum geändert: Zunächst wurde der Konvent mit einem Vorstandsbeschluss zugunsten von Sondierungsgesprächen mit der Union unter Druck gesetzt, ebenso zu entscheiden. Was er tat.

Im Spätherbst werden dann, falls nicht Angela Merkel die SPD vor Schwarz-Rot bewahrt, die Reporterteams an die Basis ausschwärmen. Im Ruhrgebiet und anderswo werden sie nach den Augusts der Partei suchen, ihre Furcht vor einer Großen Koalition aufschreiben und eine Spannung suggerieren, die nicht vorhanden ist.

Denn noch größer als die Angst vor Merkel wird die Angst der Mitglieder sein, ihre eigene Führung, Gabriel vorweg, durch ein Nein zum Koalitionsvertrag hinwegzufegen. Genosse August wird dann verstummen, der Juso-Bub, der jetzt noch Reden für Rot-Rot-Grün schwingt, ebenso. „Scheiße! Trotzdem, SPD“, hat der britische Journalist Neal Ascherson kürzlich diese Haltung zusammengefasst.

In der SPD-Führung kennen sie ihre Basis genau. Und deshalb bleibt die Frage, ob der angekündigte Mitgliederentscheid nun ein Akt der Demokratie ist oder das Gegenteil davon: ein Mittel Gabriels, der Basis die Haftung für etwas zuzuschieben, was sie nur aus Gründen der Parteiräson unterstützt – und sich selbst aus der Verantwortung zu stehlen.

Natürlich hätte es Alternativen gegeben. Der Konvent hätte ergebnisoffen beraten, der Parteivorstand zwei Mitgliederabstimmungen beschließen können: eine vor der Aufnahme von Koalitionsgesprächen, mit welchen Partnern verhandelt werden soll. Und eine danach.

Mitgliederentscheide nur bei Bedarf

Vor allem müsste sich die SPD verbindliche Regeln geben, wann Mitgliederentscheide obligatorisch sind. In der Satzung sind sie bisher als Kann-Regelung aufgeführt. Aber in einer Partei, in der offene Debatten stets die Karriere kosten können, wird ein solcher Entscheid eher bei Bedarf von oben als manipulatives Mittel eingesetzt als von unten zur Korrektur von Entscheidungen eingefordert.

Für die Zukunftsfähigkeit der SPD ist mehr innere Demokratie ebenso wichtig, wie den Mindestlohn in den Koalitionsgesprächen durchzusetzen. Natürlich lässt sich mit einsamen Beschlüssen auch der Kanzlerkandidat 2017 bestimmen. Aber wen will die Partei als Nachwuchs gewinnen? Die Generation August ist schon in Rente. Und die Zahl der Juso-Buben und -Mädel, die sich wie in Augsburg damit begnügen, zehn und mehr Stunden durch die Republik zu fahren, um der Parteispitze zuzujubeln, dürfte begrenzt sein. Die kreativsten Köpfe werden es ohnehin nicht sein.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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13 Kommentare

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  • N
    Nein

    Naja, die SPD- und Grünen-Wahlaussagen z.B. Steuererhöhungen für Reiche scheinen ja schon nach dem ersten treffen mit der CDU zur Disposition gestellt und weitere Kröten geschluckt zu werden.

    Schaun wer mal, inwieweit sich SPD und Grüne im Ringen um Machtbeteiligung und Posten anpassen und Positionen bis zur Unkenntlichkeit aufgeben. Ein wenig links blinken und wie üblich rechts abbiegen nach der Wahl...

  • S
    Sören

    Die Basis der SPD muss sich, wie ihre Führung, mit der Wahlniederlage arrangieren. Der Souverän hat ziemlich klar gesprochen, er will Angela Merkel als Kanzlerin und er will eine Koalition der beiden großen Parteien.

     

    Diese Dinge kann auch die Basis der SPD nicht ignorieren. Würde ein Koalitionsvertrag abgelehnt, müsste die für ihn verantwortliche Parteispitze zurücktreten. Die SPD würde kopflos in Neuwahlen torkeln, oder gegen eine schwarz-grüne Regierung Opposition betreiben müssen, ohne Aussicht, dass Rot-Rot eine eigene Mehrheit bei den Wahlen 2017 bekommen kann.

     

    Für die SPD muss die Neuauflage von Schwarz-Rot kein Nachteil sein, wenn sie aus ihren eigenen Fehlern und denen der FDP lernt. Innerparteiliche Geschlossenheit, sachorientierte Arbeit und die richtige Wahl bei den Ministerien sind die Grundlage für ein besseres Ergebnis.

     

    Diese Wahl wirft Fragen in Bezug auf unser Wahlrecht auf. Die Leute haben in der Mehrheit Konservativ gewählt, unser Wahlrecht hat aber zu Verzerrungen und einer linken Mehrheit im Parlament geführt. Beim Mehrheitswahlrecht fallen aber noch mehr Stimmen unter den Tisch, und das Ergebnis ist in der Regel noch verzerrter. Eine moderate Absenkung der 5%-Hürde auf 4 % ist eher gerechtfertigt.

    • BB
      Butter bei die Fische
      @Sören:

      "Der Souverän hat ziemlich klar gesprochen, er will Angela Merkel als Kanzlerin und er will eine Koalition der beiden großen Parteien."

       

      Unfug. Der "Souverän" hat zur Kenntnis gegeben, dass es links von der Merkel-CDU eine handlungsfähige Mehrheit gibt. Der entpolitisierte Kurs der Schlaftabletten-Kanzlerin mag viele Anhänger haben, eine Mehrheit hat er nicht.

       

      "Diese Wahl wirft Fragen in Bezug auf unser Wahlrecht auf. Die Leute haben in der Mehrheit Konservativ gewählt, ..."

       

      Nee, ham se nich, Du "Mathe-Ass". 41,5

       

      "... unser Wahlrecht hat aber zu Verzerrungen und einer linken Mehrheit im Parlament geführt."

       

      Weil es in Deutschland ZWEI Stimmen pro Wähler gibt. Und mit der "Erststimme" wählt er einen Vertreter seines Wahlkreises (Personenwahl), mit der Zweitstimme bestimmt er dagegen über die politische Richtung des Bundestages (Programmwahl). Würde das auf eine Stimme verkürzt, würde die weniger maßgebliche "Personenwahl" wegfallen. Das Ergebnis wäre eine noch klarere linke Ausrichtung des Bundestages ohne die Überhangsmandate-Schummelei, mit die bürgerlich-konservativen in der Vergangenheit am Volkswillen vorbei Mehrheiten erschwindelt haben und die ja auch vom Verfassungsgericht bereits scharf kritisiert wurde.

    • S
      Silke
      @Sören:

      Das ist wohl eine Art Weckaktion - oder?

       

      Seitwann weiß der Taz-Kommentator, was der Wähler will oder wollte? Ich kann nur sagen, dass ich bei der Wahl geholfen hat. In meinem Lokal gewann die CDU ca. 45 Prozent, aber von allen möglichen Wahlberechtigten waren es gerade mal 12 Prozent - das sind keine Mehrheiten, sondern fast die Hälfte der Wähler dort, konnte/wollte sich nicht entscheiden. Ich glaube, so klar ist nicht, was der 'Wähler' will. Die SPD wollte ja keine Alternative sein - bei so viel Ratlosigkeit kommt mir eine große Koalition überhaupt nicht fundiert vor.

    • IW
      Ich weiß es besser
      @Sören:

      Der Wähler will eine Minderheitsregierung oder Rot-Rot-Grün.

    • E
      Entspannter
      @Sören:

      Der Wähler hat entschlossen, FDP und AfD kraft der 5%-Hürde vom Parlament auszuschließen. Das sollten Sie respektieren, anstatt sich für irrelevante Splittergruppen stark zu machen, die nicht mal eine ausreichende Mannstärke vorweisen können, um am parlamentarischen Alltag überhaupt umfassend teilnehmen zu können. Die FDP war nie für eine Senkung der 5%-Hürde, nur die NPD will das.

  • E
    Entschleunigter

    Nur über Schwarz-Rot soll abgestimmt werden? Über die anderen beiden Möglichkeiten Rot-Rot-Grün und Union-Minderheitsregierung nicht? Da haben die Parteioberen wieder schön gezinkt und die Basis für blöd verkauft. Naja - selber schuld. Wer seit Schröder immer noch SPD-Mitglied ist, läßt sich halt gern verarschen.

  • A
    Antidemokratie

    Zählten nur die direkt gewählten Abgeordneten in den Wahlkreisen, hätten CDU und CSU eine satte Dreiviertelmehrheit. Außer einem Fünftel Sozialdemokraten gäbe es als Opposition nur noch einen Grünen sowie eine Handvoll linker Einzelkämpfer. Hätte Deutschland ein Mehrheitswahlrecht nach britischem Vorbild, bei dem die relative Mehrheit im Wahlkreis genügt, oder nach französischem, das die absolute Mehrheit und gegebenenfalls eine Stichwahl verlangt, die Mehrheitsverhältnisse wären klar, der Wahlsieger könnte sich schlecht hinter Koalitionskompromissen verstecken und müßte zeigen, was er kann – das Risiko der ebenso deutlichen raschen Wiederabwahl inbegriffen. Der Charme des Mehrheitswahlrechts, über das man hierzulande gern die Nase rümpft, liegt nicht zuletzt in der Beschneidung der Macht der Parteiapparate, die keine „sicheren Listenplätze“ mehr vergeben könnten. Der einzelne Abgeordnete wäre seinen Wählern stärker verpflichtet. Jetzt bekommen die Wähler zu 100% was sie nicht wollten, die Parteiapparate zumindest in den oberen Rängen haben was sie immer hatten-Macht und Geld. Mit Demokratie hat das nichts zu tun.

    • A
      Atmender
      @Antidemokratie:

      Die Union hat schon genug Schaden in Europa angerichtet. Die brauchen nicht auch noch eine Dreiviertelmehrheit.

  • G
    gerstenmeyer

    die ziehen hier eine show ab die ihnen bei dem kleinen stimmenanteil gegenüber der union gar nicht zusteht -

    • BB
      Butter bei die Fische
      @gerstenmeyer:

      Da können Sie ja nur die CSU meinen. Die geht mit der gleichen Anzahl Unterhändler in die Koalitionsgespräche mit der CDU, obwohl sie nur 20% deren Stimmen hat.

       

      Bei proportionaler Berücksichtigung der Stimmenanteile hätten es statt sieben lediglich zwei sein dürfen. Zusammen mit sechs von der SPD und acht von der CDU hätte sich das Gremium auf sechzehn begrenzen lassen.

       

      Also, für Sie, nochmal zum mitschreiben (tatsächliche Zahlen in Klammern):

       

      CDU: 8 (7)

      CSU: 2 (7)

      SPD: 6 (7)

      Ges.: 16 (21)

       

      Also, WER zieht hier "die Show" ab?

    • R
      Ruhender
      @gerstenmeyer:

      Offenbar haben Sie nicht begriffen, daß die Union de facto entmachtet worden ist. Kommt es zur großen Koalition, verliert die Union 40% ihrer Machtanteile gegenüber der vorigen Legislaturperiode. Eine herbe Klatsche für die Union. Der Linksumschwung im Volke kommt nun auch im Parlament an. Merkel wird diese Legislaturperiode politisch nicht überstehen. Merkel ist seit der BTW eine "lame duck".

    • MJ
      Martin Jäger
      @gerstenmeyer:

      CDU/CSU sollte alleine regieren und alleine auch die Verantwortung übernhemen.