Kommentar Russlandwahlen: Macht ohne jedes Maß
Der Wahlkampf in Russland glich einer Parodie, in der außer der herrschenden Partei allen anderen Kräfte eine Pantomimenrolle zugewiesen wurde.
B ei den Wahlen zum Moskauer Stadtparlament erzielte die Kreml-Partei "Vereinigtes Russland" (VR) einen Erdrutschsieg. Zwei Drittel der Wähler gaben der Staatspartei und dem seit 17 Jahren herrschenden Stadtfürsten Juri Luschkow die Stimme. Nur die Kommunisten schafften es mit Ach und Krach auch ins Parlament. Nach Mandaten sieht das Resultat noch bestechender aus: Von 35 Sitzen entfallen 32 auf die VR, das entspricht 90 Prozent.
Ein Traumergebnis, das an kommunistische Zeiten erinnert und das selbst für das nicht immer lupenreine russische Wahlprozedere eine ziemliche Dreistigkeit darstellt. Natürlich wurde vor, während und nach der Wahl auch in Moskau nach Kräften gemauschelt. Wenn sich an diesem Sieg etwas ablesen lässt, dann ist es die Maßlosigkeit der Mächtigen, die keinerlei Konsequenzen noch Strafen fürchten müssen.
Dabei hatte Präsident Dmitri Medwedjew, der nach außen ein liberales Image pflegt, den Clanchef Luschkow aufgefordert, auch Andersdenkenden eine Chance einzuräumen. Der Appell des Kremlchefs versandete ungehört oder wurde einfach nicht beachtet. Der Wahlkampf glich einer Parodie, in der außer der herrschenden Partei allen anderen Kräfte eine Pantomimenrolle zugewiesen wurde.
Meinte Medwedjew die Mahnung ernst, kommt das Ergebnis einem Affront gleich. All jene sehen sich bestärkt, die ohnehin meinen, dass der Kremlchef nur ein Sitzpräsident ist, der Wladimir Putin den Thron für die nächste Runde warm hält. Von Aufbruch keine Spur. Im Gegenteil, unter Medwedjew nehmen Demontage und Verwesung des Systems zu. Nach der Gleichschaltung der föderalen Institutionen folgen jetzt die unteren Ebenen. Die Feudalisierung Russlands strebt der Vollendung entgegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück