Kommentar Russlands neue Pipeline: Die Angst ist übertrieben
Russland baut wieder eine Großpipeline - um unbotsame Länder klein zu halten und Freunde zu belohnen. In manchen EU-Ländern herrscht Aufregung.
N ach der Ostseepipeline legt Russland jetzt eine weitere Mammutpipeline. Die "South Stream" führt über den Balkan, um russisches Gas auch nach Südeuropa zu verkaufen. Während die Europäer noch darüber grübeln, wie sie die Energielieferungen diversifizieren könnten, um nicht in zu große Abhängigkeiten vom russischen Gas zu gelangen, schafft Wladimir Putin Fakten. Nachdem die Ukraine und Weißrussland zu problematischen Transitländern geworden sind, hat er jetzt mit Bulgarien, Griechenland, Serbien und Ungarn neue strategische Partner für den Transit gewonnen. Zielstrebig steckt Moskau seine durch Energieexport verdienten Petrodollars in den Bau eigener Transportinfrastruktur. Putins Masterplan geht auf, denn die EU-Bürokratie hat ihm erst einmal wenig entgegenzusetzen: Sie liegt mit den europäischen Energiekonzernen im Clinch und muss das notwendige Investitionskapital für eigene Pipelines erst noch sammeln.
Der Kremlchef nutzt die Situation politisch. Er möchte EU-Staaten, die Russland-freundlich auftreten, die Rolle einer Drehscheibe für die Vermarktung des russischen Gases in Europa anbieten und dort Riesengasspeicher anlegen. Politiker und Unternehmer in den entsprechenden Staaten reiben sich angesichts des erhofften kommerziellen Gewinns die Hände. In anderen EU-Ländern herrscht dagegen Panikstimmung: Will die neue Energiesupermacht Russland den europäischen Kontinent mit der Gas- und Ölwaffe bezwingen?
Die Ängste der Europäer sind zwar nicht völlig unbegründet, aber deutlich übertrieben. Putin spielt nicht ein Eroberungsspiel der Geheimdienste, sondern nutzt die für das Exportland Russland günstige Konjunktur, um sowohl auf dem europäischen als auch asiatischen Markt ökonomisch zu expandieren. Doch Russland ist genauso von den Millionen EU-Konsumenten abhängig wie die EU von russischem Gas. Das ist seit 30 Jahren so und hat auch im Kalten Krieg funktioniert. So ist absehbar, dass das Energiegeschäft nach der gegenwärtigen Politisierung schon bald wieder ganz pragmatisch ablaufen wird.
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