Kommentar Russlands Demogesetz: Monatsgehalt für eine Demo
Der russische Unrechtsstaat macht ernst: Auch Protestieren soll nun ein exklusives Vergnügen werden. Die Putin-Clique hat schlicht Angst.
I m Eilverfahren verabschiedet die russische Duma gerade ein Demonstrationsgesetz, das Geldstrafen für Teilnehmer drastisch verschärft. Wer an einer Protestveranstaltung teilnimmt, sollte vorher sehr genau darüber nachdenken, ob er sich dieses Vergnügen finanziell auch wirklich erlauben kann.
Putins Kleptokratie will nun auch das Demonstrieren noch zu einem Vergnügen nur der Superreichen machen.
Angst geht um im Kreml, der das Projekt über Nacht lancierte. Noch vor dem 12. Juni – der nächsten Großveranstaltung der Opposition – soll das Gesetz vorliegen. Die Initiatoren berufen sich auf Nachholbedarf. Bislang wäre die russische Gesetzgebung anderen europäischen Ländern hinterhergehinkt, behaupten Legalisten des Unrechtsstaates, die sich auf das „Recht“ häufiger berufen als jeder Rechtsstaat.
ist taz-Korrespondent in Moskau.
Sie haben allerdings Recht. Die Strafen in der EU sind teilweise sogar noch höher. Was sie unter anderem verschweigen: in Europa gibt es unabhängige Gerichte und auch die Zulassung von Kundgebungen hängt nicht vom Wohlwollen eines Beamten ab.
Das Gesetz ist unüberlegt und zeugt von Torschlusspanik einer politischen Elite, die sich verzweifelt an das Recht klammert, um die Macht auf ewig zu erhalten. Eine Elite, die ein halbes Jahr nach den ersten Protesten immer noch keine Konsequenzen daraus zieht, dass sie selbst der Anlass des Widerstands ist. Vor allem aber weigert sie sich zur Kenntnis zu nehmen, dass die Legitimität der Duma wie auch des Präsidenten seit den Fälschungsvorwürfen am seidenen Faden hängt.
Jeder Versuch seitens der Amtsinhaber, in dieser prekären Situation die Gesetzeslage noch zu verschärfen, ruft die umstrittene Legalität ins Gedächtnis zurück. Zwangsläufig wird in den Augen der Bürger aus dem Gesetz ein Instrument zur Herrschaftserhaltung. Das System Putin gibt es nicht mehr, die Chaotisierung der Verhältnisse findet derzeit unterhalb der Oberfläche statt. Auch wenn Restbestände des Systems noch so tun, als wäre nichts gewesen.
Tatsächlich verschärft das die brenzlige Lage noch, in der schon morgen nichts mehr so sein muss wie heute. Daher flieht Putin auch bei jeder Gelegenheit in die noch hörige Provinz, retten wird aber auch sie ihn nicht mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“