Kommentar Russland: Angst vor Armutsrevolten
Die systematische Verfolgung von Andersdenkenden, die bis hin zum Mord geht, sowie die Missachtung von Menschen- und Bürgerrechten ist in Russland an der Tagesordnung.
E s sind immer wieder dieselben Bilder: ein paar hundert russische Regierungskritiker, die, kaum dass sie ihre Anti-Putin-Transparente entrollt und die ersten Parolen skandiert haben, von Spezialkräften in Mannschaftswagen abtransportiert werden. Begründung: Die Veranstaltung sei nicht genehmigt gewesen. Auch am vergangenen Sonntag in Moskau war das wieder so. Dennoch hat dieser Polizeieinsatz eine neue Qualität. Denn von den über 100 Festgenommenen werden die meisten in den kommenden Tagen vor Gericht stehen.
Die systematische Verfolgung von Andersdenkenden, die bis hin zum Mord geht, sowie die Missachtung von Menschen- und Bürgerrechten ist in Russland an der Tagesordnung. Daran hat sich, entgegen anderslautender Ankündigungen, unter Präsident Dmitri Medwedjew wenig geändert. Dabei hat die autoritäre Staatsmacht mit ihren Gegnern bislang leichtes Spiel. Denn die Opposition besteht aus kleinen, untereinander völlig zerstrittenen Grüppchen, die in der Bevölkerung nur wenig Rückhalt haben.
Dass die Ordnungskräfte dennoch so brutal gegen die Protestierenden vorgehen sind, lässt nur einen Schluss zu: Der Kreml wird nervös. Aus gutem Grund, denn die Wirtschaftskrise hat das Land mit voller Wucht getroffen: Die Arbeitslosigkeit steigt rapide, die Verarmung weiter Teile der Bevölkerung schreitet voran. Und wenn in Russland überhaupt etwas die Menschen auf die Straße bringt, dann ist es das Bedürfnis, ihrem Unmut über eine sich stetig verschlechternde wirtschaftliche und soziale Lage Luft zu machen.
ist Redakteurin im Auslandsressort der taz.
Es ist darum also nicht ausgeschlossen, dass der Regierung schon bald Massenproteste ins Haus stehen könnten. Auf Dauer werden dann Schlagstöcke, Festnahmen und Ordnungsstrafen nicht mehr genügen.
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