Kommentar Rücktritt in Armenien: Hut ab!
In nur zwei Wochen hat die armenische Protestbewegung den korrupten Regierungschef aus dem Amt gekippt. Doch Sargsjan allein ist nicht das Problem.
Da kann man nur sagen: Hut ab! Gerade einmal zwei Wochen haben die ArmenierInnen gebraucht, um ihren zum Regierungschef mutierten früheren Präsidenten Sersch Sargsjan mit Massenprotesten aus dem Amt zu kippen. Der Unmut der Menschen richtete sich dabei vor allem gegen Sargsjans dreisten und durchsichtigen Versuch, durch einen Ämtertausch an der Macht zu bleiben – und das auch noch mit mehr Vollmachten ausgestattet als zuvor.
Doch der Zorn über dieses Manöver, das 2008 mit einer Rochade zwischen Wladimir Putin und Dmitri Medwedjew beim Nachbarn Russland so reibungslos über die Bühne ging, ist längst nicht alles. Es geht um mehr. Sargsjan war und ist für die meisten Armenier eine Hassfigur. Er steht stellvertretend für einen korrupten scheindemokratischen Klan von Politikern, die das Volk ausplündern und sich schamlos selbst bereichern.
Viele nehmen es Sargsjan übel, dass er 2013 quasi im Alleingang ein unterschriftsreifes Abkommen mit der Europäischen Union über den Haufen warf und Armenien stattdessen der von Russland dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion beitrat. Auf die versprochenen Wohltaten dieser Mitgliedschaft warten die Armenier, von denen ein Großteil an beziehungsweise unter der Armutsgrenze lebt, bis heute.
Ihr Jubel darüber, sich Sargsjan jetzt entledigt zu haben, ist verständlich. Doch die Frage lautet: Wie geht es weiter? Viel wird davon abhängen, ob es den oppositionellen Kräften, jenseits der Umsetzung des Vorhabens eine Regierung zu stürzen, gelingt, ihre Kräfte zu bündeln und eine gemeinsame tragfähige Strategie zu entwickeln. Dafür ist es jedoch unumgänglich, mit den regierenden Kräften in einen Dialog einzutreten. Zumindest Sargsjans Republikanische Partei dürfte nach den Ereignissen der letzten Tage gewarnt sein. Das ist bereits ein erster Schritt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe