Kommentar Regionalwahlen in Russland: Putin hat sich verzockt
Die Wahlen in Moskau sollten den Blogger Nawalny auf sein „wahres Maß“ zurechtstutzen. Das Gegenteil ist geschehen. Er ist der legitimierte Oppositionsführer.
D ie Bürgermeisterwahlen in Moskau und der Regionalchefs in Russlands Provinzen am Wochenende werden das Land grundlegend verändern. Und zwar langfristig.
Gemäß des offiziellen Wahlergebnisses bestätigte die Hauptstadt den Kremlkandidaten Sergej Sobjanin im Amt. Doch nur verdächtige „ein Prozent Komma etwas“ retteten den Technokraten vor der Stichwahl. Die höhere Legitimität, die der Amtsinhaber durch die Wahl anstrebte, erzielte er nicht. Ein weiterer Wahlgang könnte das wettmachen. Die Opposition wirft den Regierenden ohnehin Wahlmanipulation vor und fordert einen erneuten Wahlgang. Doch das werden letztere zu verhindern wissen, es würde die aufgeladene Stimmung weiter anheizen.
Der wahre Sieger in Moskau ist der Anti-Korruptionsblogger Alexej Nawalny, der mit 27 Prozent zehn Prozent mehr Stimmen erhielt als noch in Umfragen. Russland hat jetzt einen per Wahl legitimierten Oppositionsführer.
Eigentlich hatten die Machthaber vor, den charismatischen Volkstribun vom Wähler auf sein „wahres Maß“ zurechtstutzen zu lassen. Das Gegenteil ist nun der Fall: der Kreml hat sich verzockt.
Massiv gestärkte Opposition
Jetzt kann sich Präsident Putin nicht mehr herausreden, es gebe keinen legitimen Ansprechpartner auf Seiten der Opposition, auch Nawalnys Namen, den er immer wieder demonstrativ vergaß, muss er sich jetzt wohl merken. Die Herrschenden kommen an dem Blogger und Juristen und seinen aktiven Anhängern nicht mehr vorbei. Es dürfte auch schwierig sein, den im Juli wegen angeblicher Veruntreuung in einem Schauprozess verurteilten Nawalny für fünf Jahre ins Lager zu schicken.
Nawalnys Tausende freiwillige Unterstützer, die das Unmögliche möglich machten und ohne Medienzugang Hunderttausende mobilisierte, dürfte in solch einem Fall nicht tatenlos zusehen. Sie dürfte die Basis einer neuen organisierten politischen Kraft darstellen.
Russlands imitierte und gelenkte Demokratie hat einen schweren Schlag erlitten. Denn die Wähler straften auch die systemkonformen oppositionellen Blockflötenparteien ab, die Wladimir Putin einst nach DDR-Modell entwerfen ließ. Das System Putin funktioniert nicht mehr.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin