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Kommentar Regionalwahlen in RusslandPutin hat sich verzockt

Klaus-Helge Donath
Kommentar von Klaus-Helge Donath

Die Wahlen in Moskau sollten den Blogger Nawalny auf sein „wahres Maß“ zurechtstutzen. Das Gegenteil ist geschehen. Er ist der legitimierte Oppositionsführer.

Nicht der Sieger, aber trotzdem ein Gewinner: Alexej Nawalny. Bild: dpa

D ie Bürgermeisterwahlen in Moskau und der Regionalchefs in Russlands Provinzen am Wochenende werden das Land grundlegend verändern. Und zwar langfristig.

Gemäß des offiziellen Wahlergebnisses bestätigte die Hauptstadt den Kremlkandidaten Sergej Sobjanin im Amt. Doch nur verdächtige „ein Prozent Komma etwas“ retteten den Technokraten vor der Stichwahl. Die höhere Legitimität, die der Amtsinhaber durch die Wahl anstrebte, erzielte er nicht. Ein weiterer Wahlgang könnte das wettmachen. Die Opposition wirft den Regierenden ohnehin Wahlmanipulation vor und fordert einen erneuten Wahlgang. Doch das werden letztere zu verhindern wissen, es würde die aufgeladene Stimmung weiter anheizen.

Der wahre Sieger in Moskau ist der Anti-Korruptionsblogger Alexej Nawalny, der mit 27 Prozent zehn Prozent mehr Stimmen erhielt als noch in Umfragen. Russland hat jetzt einen per Wahl legitimierten Oppositionsführer.

Eigentlich hatten die Machthaber vor, den charismatischen Volkstribun vom Wähler auf sein „wahres Maß“ zurechtstutzen zu lassen. Das Gegenteil ist nun der Fall: der Kreml hat sich verzockt.

Massiv gestärkte Opposition

Jetzt kann sich Präsident Putin nicht mehr herausreden, es gebe keinen legitimen Ansprechpartner auf Seiten der Opposition, auch Nawalnys Namen, den er immer wieder demonstrativ vergaß, muss er sich jetzt wohl merken. Die Herrschenden kommen an dem Blogger und Juristen und seinen aktiven Anhängern nicht mehr vorbei. Es dürfte auch schwierig sein, den im Juli wegen angeblicher Veruntreuung in einem Schauprozess verurteilten Nawalny für fünf Jahre ins Lager zu schicken.

Nawalnys Tausende freiwillige Unterstützer, die das Unmögliche möglich machten und ohne Medienzugang Hunderttausende mobilisierte, dürfte in solch einem Fall nicht tatenlos zusehen. Sie dürfte die Basis einer neuen organisierten politischen Kraft darstellen.

Russlands imitierte und gelenkte Demokratie hat einen schweren Schlag erlitten. Denn die Wähler straften auch die systemkonformen oppositionellen Blockflötenparteien ab, die Wladimir Putin einst nach DDR-Modell entwerfen ließ. Das System Putin funktioniert nicht mehr.

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Klaus-Helge Donath
Auslandskorrespondent Russland
Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.
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9 Kommentare

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  • T
    toddi

    ich habe mal eine These der "hochstudierte" KHD, politischer Psychologe, mit anderen Worten Manipulator der Wahrheit in eine bestimmte (politische) Richtung würde für ein low. Budget Blatt mit wirtschaftlicher Schieflage Zitat: Wie aus der »Mitgliederinfo Nr. 23« der taz-Verlagsgenossenschaft hervorgeht, haben alle taz-Gesellschaften gemeinsam ein Minus von 616000 Euro erwirtschaftet. In den Jahren zuvor war noch ein Überschuß von 287000 Euro (2011) 385000 Euro (2010) erzielt worden." nicht schreiben, also wer „dankt“ ihn für seine Hetze? Oder kann man auch sagen die Krise fußt ua. auf zu angeblich "hohen Personalkosten"Zitat "Für diesen Bereich wurden 432000 Euro mehr ausgegeben als 2011" wie zB. Honorare für diverse Lohnschreiber btw mit welchem Recht ist der eigentlich „Redakteur“ ...

  • Bin mit dem Artikel nicht einverstanden, denn:

    1. Trotz massivster Propaganda, Einsatzes grosser Geldmittel und des Umstandes, dass Moskau die Hochburg der russ. ausserparlamentarischen Opposition ist, konnte ebendiese Opposition nicht gewinnen. Gerade mal ein Viertel der Moskauer konnte sich für den Nationalisten Nawalny erwärmen. Wenn man dann noch bedenkt, dass die Wahlbeteiligung bei nur 30% lag, ergibt sich dass gerade mal 8% der Moskauer Anhänger der radikalen Opposition sind.

     

    2. Wenn schon in Moskau die ausserparlamentarische Opposition chancenlos ist, ist sie es in der konservativen Provinz erst recht.

     

    3. Tolle, richtig symphatische Oppositionelle hats in RU: Ein Nationalist, der lauthals gegen Ausländer hetzt, jedem Russen eine Pistole geben will und auch schon mal Kaukasier als Kakerlaken bezeichnete. Dazu kommt noch, dass Nawalny ein wegen Unterschlagung und Veruntreuung verurteilter Krimineller ist.

     

    In diesem Sinne: Der Plan, auch die radikale Opposition ins politische Leben einzubinden und sie so zu zähmen und ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist aufgegangen. Herzliche Gratulation dem Wahlsieger, dem charismatischen Sobjanin, und allen Moskauern!

  • L2
    Leser 2

    Immer wieder schön zu sehen, dass wenigstens die Leser (wie z.B. Rainbow Dash)das hinbekommen, was eigentlich Aufgabe der Journalisten wäre.

    Sich nämlich selbstständig zu informieren und zu recherchieren und nicht nur irgendwelche dpa-printouts oder ähnliches zu veröffentlichen.

  • Mit der Ansage von Herrn Putin wurde wieder Herr Sobjanin „gewählt“. Natürlich hat er ihn auch bei der Wahl davor erwählt. Jetzt gab es wieder mal Proteste und wohl eine Klage, schon vor der Wahl, als Herr Putin in einem Interview den Sieg Sobjanins „vorausgesagt“ habe.

     

    Die Wahlen sind eine Formalität, um einer Scheindemokratie gerecht zu werden. Es gibt zwar einige Verpflichtungen für die Regierenden in Russland, aber scheinbar nur auf dem „Papier“, dass sich Gesetze nennt. Wäre jetzt Herr Berezovsky noch am Leben, würde er zustimmen.

  • G
    Gata

    Bei unter 30% Wahlbeteiligung wäre ich vorsichtig, von grundlegenden Veränderungen und einem legitimierten Oppositionsführer zu sprechen. Im Übrigen ist auch Hitler angetreten, mit der Korruption aufzuräumen. Es ist das eigentlich Gefährliche am System Putin, das nur solche Oppositionsführer hervorbringt.

  • M
    Murro

    Liebe Taz,

     

    warum wird hier nicht die Ausländerfeindlichkeit des Herrn Alexej Nawalny nicht erwähnt?

  • RD
    Rainbow Dash

    Nawalny als Oppositionsführer ist ein bezeichnendes Bild für die allgemeine politische Lage in Russland - und der Hype um seine Person in Deutschland zeichnet ein miserables Bild der deutschen Medienlandschaft.

     

    Wenn TAZ und co. nämlich tatsächlich mal seinen Blog gelesen hätten anstatt immer nur Lobhudelnd das Wort "Blogger" vor ihm herzutragen als sei das eine Auszeichnung für unabhängige Qualitätspresse, dann wären vielleicht einige Unappetitlichkeiten an der Person Nawalny aufgefallen, insbesondere seine rassistischen Ausfälle gegen "Kaukasier" und seine Anbandelung mit russischen Neonazis können nicht als politisches Kalkül gewertet werden, sondern müssen als tiefe Überzeugung Nawalnys gelten. Nawalny "fischt" nicht bloss im rechten Lager nach Stimmen, wie es z.B. der ARD gestern unterstellte, sondern er steht selber knietief im rassistisch-nationalistischen Sumpf der einen Großteil der russischen Opposition ausmacht.

  • S
    Super

    Na Herr Donath,

    wohl vergessen das die Wahlbeteiligung bei ca 30% lag.

    Das dürfte mal ganz schnell zurechtstutzen wie grundlegend verändert der "Erfolg" des mit rechtsradikalen Sprüchen umsich werfenden Nawalny ist.

  • J
    JadotA

    „Das System Putin funktioniert nicht mehr“… Stimmt.

    Das Regime Assad auch nicht, trotzdem kann es noch Leid und Schäden herrichten.

    Es ist kein Zufall, wenn beide Männer sich verstehen.