Kommentar Razzien bei Salafisten: Radikalisierung mit staatlicher Hilfe
Die Razzien bei den Salafisten mögen notwendig sein. Polizeiliche Maßnahmen dürfen aber nicht das einzige Mittel im Kampf gegen die Radikalisierung sein.
M it Razzien in sieben Bundesländern und dem Verbot eines besonders radikalen Vereins bekommen deutsche Salafisten jetzt die volle Härte des Gesetzes zu spüren. Gerade erst wurde dem umstrittenen Prediger Ibrahim Abou-Nagie außerdem die Sozialleistungen gekürzt, weil er über nicht angegebene Einnahmen verfügt haben soll.
Der deutsche Staat zeigt damit seine Muskeln – und trifft damit sicher nicht die Falschen. Richtig ist, dass man es sehr ernst nehmen muss, wenn Salafisten gegen die Demokratie agitieren oder gar den Terror von al-Qaida verherrlichen.
Richtig ist auch, dass die Politik nach den Ausschreitungen in Bonn und Solingen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen konnte. Verbote allein werden aber nicht reichen, um den Salafisten das Wasser abzugraben – zumal die meisten von ihnen nicht in Vereinen organisiert sind und nicht zur Gewalt greifen, sondern sich an die Gesetze halten.
ist Redakteur für Integration und Migration im Inlandsressort der taz.
Verbote liefern auch keine Antwort auf die Frage, warum die bärtigen Islamisten in ihren weiten Kutten, die einen rückwärtsgewandten Ur-Islam predigen, in den letzten Jahren überhaupt so viel Zulauf unter Jugendlichen erhalten konnten. Zu viel Druck hilft den Salafisten sogar, sich als Opfer staatlicher Willkür zu stilisieren – und bergen die Gefahr, dass sich bisher unauffällige Salafisten erst recht radikalisieren.
Für Innenminister Friedrich und seine Kollegen in den Ländern bieten die Provokationen der Salafisten eine willkommene Gelegenheit, sich jetzt als Männer der Tat zu profilieren. Etwas besseres als die Salafisten, die kaum öffentliche Sympathien genießen, konnte ihnen da nicht passieren.
Die größere Herausforderung aber ist, jene Jugendlichen, die sich vom Salafismus fasziniert zeigen, für diese Gesellschaft zurück zu gewinnen - durch Aufklärung, Aussteigerprogramme und Prävention. Diese Aufgabe verspricht weniger öffentliche Aufmerksamkeit und Applaus, ist aber langfristig sehr viel wichtiger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“