Kommentar Raucherurteil: Gegen den Gesundheitswahn
Der Bundesgerichtshof hat im Fall Adolfs vernünftig entschieden. Und der Mieter darf sich nun füglich auf sein Gewohnheitsrecht berufen.
D er Bundesgerichtshof hat nur zu entscheiden, ob ein anderes Gericht nach Abwägung aller Fakten geurteilt hat. Dass der Bundesgerichtshof nun entschied, einen Spruch des Düsseldorfer Landgerichts zu kassieren, musste erwartet werden.
Die Landrichter hatten darüber zu entscheiden, ob einem Mieter die Wohnung gekündigt werden darf, weil er durch sein Rauchen andere Mieter belästigt. Karlsruhe nun wies den Rechtsstreit an die Kammer zurück, weil sie es bei dem Streit um Nikotinschwaden in Hausflur versäumt hat, einen Ortstermin anzuberaumen. Man könnte sagen: Der Bundesgerichtshof monierte, dass die Landrichter nur aus den Akten heraus der Räumungsklage zustimmten.
Insofern ließe sich sagen: Sie hatten sich von der um sich greifenden Gesundheitsideologie mitreißen lassen – ohne das Deliktuelle dort in Augenschein zu nehmen, wo die strittige Handlung (Kettenrauchen, 15 Stück am Tag) sich abspielte. Soweit, so gut oder schlecht, je nach Auffassung zum Rauchen.
Nicht die Gesundheit, nur die Belästigung ist zu beurteilen
Erstaunlich ist allerdings, dass die Vertreter des Bundesgerichtshof tatsächlich das Recht auslegten und sich nicht grundsätzlich zu einem Spruch hinreißen ließen, demzufolge das Rauchen in Mietwohnungen grundsätzlich untersagt sein kann. Oder womöglich noch klärt, dass der Genuss von Zigaretten unweigerlich zu Mieterhöhungen führen könnte.
Der Mieter jedenfalls, der aus seiner Wohnung nach Meinung seiner Nachbarn hinaus soll, kann sich füglich auf Gewohnheitsrecht berufen. Er wohnt schließlich schon seit vielen Jahren, länger als die meisten seiner Nachbarn, in dieser Wohnung.
Wichtig ist unter dem Strich hauptsächlich, dass der Bundesgerichtshof die Moral der allumfassenden Gesundheitlichkeit nicht zur Verhandlung stellte. Es ging lediglich um die Treue zur Zahlung einer angemieteten Wohnung. Zu prüfen bleibt für eine andere Düsseldorfer Landgerichtskammer, ob der Qualm dieses Mannes wirklich belästigt oder nicht.
Oder ob das nachbarliche Beschweren zum Üblichen zu zählen ist: Üblicher Hader und Zank von nur durch Wände getrennte Menschen – auszuhaltender Alltagsärger sozusagen, der unerträglich wurde in der Hoffnung, den Trumpf der Gesundheitsmoral ziehen zu können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr