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Kommentar Proteste in IsraelGegen Zions Fundisierung

Kommentar von Rafael Seligmann

Alle Juden sollen über das Judentum entscheiden dürfen, finden säkuläre Israelis. Doch damit wollen sich die Ultraorthodoxen nicht abfinden - und sie haben mehr Argumente.

I n Israel wird wieder einmal gestritten. Nicht zwischen Juden und Arabern, sondern innerjüdisch. Die Kernfrage: Wer besitzt die Autorität, für den jüdischen Glauben das entscheidende Wort zu sprechen.

Israel ist ein jüdischer Staat und die Hebräer wollen, dass es so bleibt. Eine Wurzel des Judentums ist der Glaube, der wiederum den Gesetzen der Hebräischen Bibel entspringt. Insgesamt 613 Gebote und Verbote harren der Befolgung. Wer hat dabei das letzte Wort? Alle Juden, sagen die säkularen Israelis. Die Bibel gibt ihnen recht. Denn sie bestimmt, jeder Sohn einer jüdischen Mutter - der Vater ist unwichtig - und jeder Konvertierter ist Mitglied des Bundes mit dem Ewigen.

Damit wollen sich die Ultraorthodoxen um Himmels Willen nicht abfinden. Sie wollen im Heiligen Land bestimmen, dass und wie dort gemäß ihrer Auslegung der Schrift gelebt wird. Daher fordern sie eine strenge Trennung der Geschlechter. Denn Frauen, zumal wenn diese aufreizend gekleidet seien - und welche Frau spielte nicht zumindest mit dem Gedanken daran? -, würden die Männer vom Studium der Thora und der Einhaltung ihrer Gebote abhalten.

Bild: dpa
RAFAEL SELIGMANN

63, ist Schriftsteller und Journalist. Seine Romane ("Der Musterjude") und Essays kreisen oft um deutsch-jüdische Themen. Zuletzt erschien seine Autobiografie "Deutschland wird dir gefallen" (Aufbau). Er lebt in Berlin und Tel Aviv.

Wer nicht den Anmaßungen der Ultras folgt, der wird von ihnen angefeindet - mitunter wenden sie gar Gewalt an, auch gegen Polizei und Soldaten. Selbst weiblichen Armeeangehörigen wollen sie das Singen in Gegenwart von Männern verbieten.

Die säkularen Israelis wollen sich diese Anmaßungen nicht länger bieten lassen. Zumal die Ultras vielfach den Staat Israel per se ablehnen, da nur Gott einen jüdischen Staat ins Leben rufen dürfe. Sie weigern sich, in dessen Streitkräften zu dienen, dafür nehmen sie großzügig dessen Transferleistungen in Anspruch.

Präsident Peres ermutigt die Laizisten, sich nicht länger diese Dreistigkeiten der religiösen Ultras bieten zu lassen und für ihre bürgerlichen Rechte auf die Straße zu gehen. Die Bürger tuns. Doch die Religiösen sitzen am längeren Hebel. Sie zeugen viele Kinder.

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7 Kommentare

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  • V
    Valecchi

    Ich wünsche den (allen) Menschen in Israel Frieden und hoffe vor allen Dingen, dass die Regierung dort endlich ihre Angst vor dem Frieden verliert. Angst vor dem Anderen, Angst vor dem Nachbarn? Schon wegen der Neugier ist das Leben lebenswert. „Ich wünsche Frieden über Jerusalem!“ Zitat von Helmut Krätzl, Coordinating Committee for Christian-Jewish Cooperation= Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

    Sandro Valecchi, Berlin - Mitte

  • B
    Bitbändiger

    @tommy, @Wollt ihr den totalen Geburtenkrieg?

     

    Der übermäßige Gebrauch von Fertilität ist ja nun nicht nur bei ultraorthodoxen Juden ein Problem, sondern ebenso in gewissen muslimischen Gesellschaften, bei Angehörigen gewisser christlicher Sekten, die zunehmend über den Atlantik schwappen, und - anderes Problem - bei den Ärmsten der Armen, die von der vatikanischen Anti-Antikonzeptiva-Ideologie terrorisiert werden. Die Kinder der letztgenannten haben immerhin noch die Chance, in eine freiere Gesellschaft zu geraten und sich vom Vatikan zu lösen (vielleicht kehrt ja gar dort mal Vernunft ein). Die Kinder von Ultraorthodoxen haben diese Chance in der Regel nicht, sie werden gnadenlos indoktriniert und "gehirngewaschen" (kürzlich sendete arte einen hervorragenden Beitrag hierzu über US-Evangelikale).

     

    Es wäre Aufgabe des Staates (auch des unsrigen!), sich endlich zu trauen, das Menschenrecht "Kindeswohl/Anspruch auf Entwicklung" über das sogenannte Elternrecht (vor allem über das von offensichtlichen Psychopathen) zu stellen. Kinder können sich nicht wehren. Sie sollten einen Anspruch haben, von pseudoreligiös indoktrinierenden ebenso wie von misshandelnden Eltern befreit zu werden.

  • WI
    @Wollt ihr ... (nee, wolln wir nich)

    Ausgerechnet Herrn Seligmann mit einem abgewandelten Goebbels-Zitat zu widersprechen, ist an Taktlosigkeit kaum zu überbieten. Ihrer durchaus stichhaltigen Gegenargumentation nehmen Sie damit leider den Wind aus den Segeln - was soll das?

  • S
    Scharlie

    Also, wenn man den Rabbi fragt (http://www.hagalil.com),dann "glauben die Ultraorthodoxen, dass ein Judenstaat nur von dem Messias errichtet werden darf. Der Staat Israel entspricht nicht der Verheißung, weshalb sie ihn nicht anerkennen und auch keinen Wehrdienst leisten. Die Orthodoxen streben ebenfalls einen Gottesstaat an, wirken aber im Staat Israel mit, erkennen seine Institutionen an, dienen in der Armee, halten sich für Patrioten, und die meisten bezeichnen sich als nationalorthodox."

    Das kann natürlich nicht bedeuten, dass sich alle anderen nach deren fundamentalistischen Einstellungen richten müssen. In meinen Augen ist dies alttestamentarische Arroganz, lebensfremd, unsozial, intolerant. Gratulation, dass endlich Leute in Israel diesen Dogmatikern Einhalt gebieten wollen. Jeder kann seine Religion ausleben, wie er möchte, aber bitte nicht missionieren! Was daraus entstehen kann, haben schon die Kreuzzüge gezeigt.

  • T
    tommy

    Dass religiöse Idioten massenweise Kinder zeugen, die sie dann indoktrinieren, ist in der Tat in vielen Ländern ein ernsthaftes Problem, das auf Dauer fundamentalistische Strömungen stärken und die Ressourcenproblematik verschärfen wird.

    Nicht-Gläubige sollten sich besser Gedanken darüber machen, wie sie mit dieser Bedrohung umgehen. Eine gewaltsame Geburtenkontrolle gegenüber Gläubigen ist zwar wohl moralisch nicht vertretbar, aber zumindest sollte man das exzessive Zeugungsverhalten religiöser Spinner nicht noch alimentieren.

  • BR
    Bäh Reli...

    Hmmm...

     

    "...vielfach den Staat ... per se ablehnen,..."

    "...dafür nehmen sie großzügig dessen Transferleistungen in Anspruch."

     

    Das und der Rest kommt mir doch irgendwie bekannt vor. Witzig (eigentlich nicht), wie doch diese religiösen Spinner ÜBERALL gleich sind.

  • WI
    Wollt ihr den totalen Geburtenkrieg?

    "Doch die Religiösen sitzen am längeren Hebel. Sie zeugen viele Kinder."

     

    Gibt es eigentlich ein Naturgesetz, nach dem die Kinder von Religionsfundis ihrerseits zu Religionsfundis werden müssen? Kritische Theorie, Religionskritik, Soziologie, Pädagogik, Schulsystem, Kindertagesstätten, bürgerliche Bildung undundund - zählen nicht mehr. Es zählt nur noch der totale Geburtenkrieg; da treffen sich Herr Seligman und Politically Incorrect. Man fragt sich ja beinahe, wie ein Minimun an Demokratie überhaupt entstehen konnte; immerhin reichen die Verweise darauf, dass religiösere Menschen mehr Kinder bekommen bis in das 18. Jahrhunderts zurück. Aber vielleicht gab es damals intelligentere Theoretiker, die über den Geburtenkrieg hinausdenken konnten. Aber die gälten heute natürlich heute alle als böse Linksextremisten.