Kommentar Print gegen Online: Journalisten, die niemand will
Die Angst vor dem Neuen gebiert Verachtung. So schauen noch immer viele Printredakteure auf ihre Onlinekollegen herab. Die reagieren mit Demut. Wie falsch!
W as ist ein Journalist? Beziehungsweise: Wer darf sich so nennen? Jemand mit Ausbildung an einer Journalistenschule? Eine Theodor-Wolff-Preisträgerin? Einer, der Nachrichten zusammenträgt, aber nicht selbst findet? Stefan Plöchinger, der Chef des Onlineauftritts der Süddeutschen Zeitung, darf das jedenfalls nicht, so suggeriert es die Medienkolumne „Die lieben Kollegen“ aus der aktuellen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Dabei hat Stefan Plöchinger alles richtig gemacht – er ist in Bayern geboren, hat bei der SZ und an der Deutschen Journalistenschule gelernt, Stationen bei verschiedenen Zeitungen gemacht, er bloggt, isst Müsli und leitet seit 2010 die Redaktion von sueddeutsche.de. Und eigentlich soll er nun in die Chefredaktion der guten alten Tante SZ aufgenommen werden. Doch scheint er Printkollegen zu haben, die das nicht wollen.
Dahinter könnte Angst stecken. Eine Angst vor dem Neuen, das so neu eigentlich nicht mehr ist. Eine Angst, die in Verachtung umschlägt und diesen Leuten, die eine klassische Ausbildung genossen haben, einen geraden Satz zusammenkriegen und sich trotzdem ins Internet gewagt haben, pauschal die Eignung zum Journalisten absprechen.
Journalismus ist mehr als große Reportagen schreiben, mehr als bissig kommentieren, mehr als Stimmen zum Spiel einholen. Journalismus ist, was für ein wunderschönes, altes Wort: Blattmachen. Was eine Geschichte, was eine Nachricht, was ein Aufhänger, was ein neuer Dreh ist – all das sind Entscheidungen, die Blattmacher treffen müssen. Immer unter den Voraussetzungen, die ihnen das eigene Medium bietet, immer unter Berücksichtigung dessen, was gerade gebraucht wird. Das kann eine Print-Seite-3-Geschichte sein oder ein kurzer schneller Onlinekommentar. Oder eine opulente Webdoku oder eine kleine Glosse. Blattmachen im Internetzeitalter, das heißt „eine Seite führen“, ein fluides Gebilde, das sich nicht so leicht zähmen lässt wie die alten statischen Zeitungsseiten. Kaum jemand muss so fähig sein zum Multitasking wie ein Online-Chef-vom-Dienst. Kaum jemand im journalistischen Geschäft braucht ein besseres Gespür für Timing und Ton.
Die immer gleichen Vorwürfe
Noch immer muss man, wenn man als junger Journalist bei einem der großen Medien hierzulande arbeiten will, das Printgeschäft lernen und verstehen. Reine Onlinejournalisten haben es schwer, sie müssen sich auf Printrhythmen einlassen, nachvollziehen, warum die Kollegen so und nicht anders arbeiten, sie müssen rücksichtsvoll sein. Nur so funktioniert Zusammenarbeit. Das wird nicht mehr lange gut gehen und die Lösung, die sich große Verlagshäuser erlauben können, einfach die Redaktion doppelt zu besetzen, dürfte aus finanziellen Gründen nicht für immer Bestand haben.
Als Onlinerin ist man es langsam leid, das eigene Medium gegen die immer gleichen Vorwürfe mit den immer gleichen Argumenten zu verteidigen: Im Internet verdient man kein Geld? Nur übers Internet können neue Leser gewonnen werden und mit neuen Bezahlmodellen wird auch irgendwann das Geld reinkommen. Im Internet geht es nur um das Schnelle und Witzige, Ausgewogenes findet keinen Platz? Das wandelt sich gerade, man muss nur wollen und die Leserzugriffe sagen etwas anderes. Und so weiter und so weiter.
Demut gehe Plöchinger ab, soll es laut Zeit in den Gremien den Süddeutschen Zeitung heißen. Demut ist das, was Onlineredakteure seit Jahren leben. Das muss aufhören. Demut ist „in der Einsicht in die Notwendigkeit und im Willen zum Hinnehmen der Gegebenheiten begründete Ergebenheit“, steht im Duden. Wie ekelhaft. Solche Journalisten kann niemand wollen.
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