Kommentar Präimplantationsdiagnostik: Es ist nicht Daniel Bahrs Schuld
Daniel Bahr für eine Rechtsverordnung anzugreifen, die bloß ein beschlossenes Gesetz umsetzt, ist billig. Die Verordnung zeugt hingegen von Respekt für die Eltern.
S eit einem Jahr weht durch die deutsche Humangenetik und Reproduktionsmedizin ein Hauch europäischer Normalität: Damals, im Juli 2011, beschloss der Bundestag mit fraktionsübergreifender Mehrheit, die Präimplantationsdiagnostik in engen Grenzen zuzulassen.
Doch was tun die PID-Kritiker? Sie versuchen, das Votum des Parlaments durch die Hintertür wieder auszuhebeln. Nachdem sie das Gesetz nicht verhindern konnten, probieren sie es nun mit Attacken auf die Rechtsverordnung, die bloß die praktische Umsetzung regelt. Das ist nicht nur ein merkwürdiges Demokratieverständnis. Sondern schwer erträglich für Paare, die Tot- und Fehlgeburten hatten und nun Rechtssicherheit brauchen, um eine Gendiagnostik durchführen lassen zu dürfen, die das Wiederholungsrisiko zumindest senkt.
Man kann dem Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) vieles vorwerfen. Etwa, dass es ein langes Jahr brauchte für diese Verordnung. Etwa, dass auch er nicht zu lösen vermag, woran Ethikkommissionen gemeinhin kranken: an fehlender demokratischer Legitimation. Aber ihn für die Inhalte der Rechtsverordnung an sich anzugreifen und damit deren Ablehnung zu begründen, ist billig.
ist gesundheitspolitische Redakteurin der taz.
Es ist nicht Bahrs Schuld, dass die Definition dessen offen bleibt, was eine schwerwiegende Erbkrankheit sei. Das Parlament hat bewusst auf einen Krankheitenkatalog verzichtet, weil das Empfinden dessen, was zumutbar sei, individuell verschieden ist.
Der tatsächliche Verdienst dieser Verordnung geht so fast unter: Sie macht Menschen, die Leid erfahren haben, nicht erneut zu Bittstellern gegenüber Ärzten oder Ethikkommissionen. Sondern sie gewährt ihnen Anspruch auf Wissen und Diagnostik, sofern geltendes Recht eingehalten wird. Es wird nicht mehr von Dritten bewertet, ob Eltern psychisch wie sozial in der Lage sind, ein behindertes Kind großzuziehen. Was zählt, ist die Entscheidung der Eltern. Das zeugt von Respekt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist