Kommentar Polizeieinsatz in Stuttgart: Wasserwerfer gegen Konservative
Der Protest gegen Stuttgart 21 speist sich auch aus dem konservativen Milieu. Das sieht sich durch die Landes- und Bundesregierung nicht mehr vertreten.
D as waren bizarre Bilder und Töne, die am Donnerstag live über eine mobile Webcam aus dem Stuttgarter Schlosspark auf tausenden von Computermonitoren der Republik herumruckelten. Zunächst das aus Gorleben und anderen Orten mit Protestgeschichte gewohnte Bild: Hier die Demonstranten, die sich einem Polizeifahrzeug in den Weg setzten, dort die in absurd martialischer Rüstung auftretenden Polizisten, die den Weg für ihre Kollegen freiräumen wollten und dabei am Ende auch auf Wasserwerfer nicht verzichteten.
Doch was aus dem Kopfhörer kam, irritierte. Eine offenbar nennenswerte Zahl von Demonstranten skandierte nicht nur den Klassiker "Wir sind das Volk", sondern begann, die Nationalhymne zu singen.
Ein weiterer Beleg also dafür, dass sich der Protest auch aus dem konservativen Milieu speist. Denn schließlich gilt es auch etwas zu bewahren: knapp 300 zum Teil sehr alte Bäume und einen Stadtpark, der zur Großbaustelle zu werden droht.
Stephan Kosch ist Redakteur im Ökologie- und Wirtschaftsressort der taz.
Die sonst braven Bürger, die im Angesicht der Wasserwerfer die Nationalhymne intonieren, sehen sich selbst als legitime Vertreter des Staates und sprechen nunmehr diese Rolle gleichzeitig denjenigen ab, die die Polizisten in den Park geschickt haben. Das konservative Milieu sieht sich durch die Landes- und Bundesregierung nicht mehr vertreten.
Die Reaktion von Ministerpräsident Mappus, der durch Polizei und Kettensägen Fakten schaffen will, wird diesen Rollentausch zementieren. Und die Parkschützer, die nun mit Gewalt aus ihrem konservativen Paradies vertrieben wurden, werden ihm bei der Landtagswahl im kommenden Frühjahr die entsprechende Antwort geben. Dieses harsche Vorgehen gegen seine eigene Klientel dürfte Mappus das Amt kosten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs