Kommentar Piratenpartei: Verfrühte Grabreden
Die Piraten werden zu Unrecht unter die Fünfprozenthürde gequatscht. Man braucht sie, weil sie fehlten – und ein neues Lebensgefühl verkörpern.
W ie in allen anderen Medien überwiegt in diesen Tagen auch in der taz, was die Piratenpartei anbetrifft, unfreundliche Skepsis bis hin zu hochnäsiger Belehrungsallüre. Haben keine Inhalte!, Nicht mal ’n Programm!, Sind viel zu chaotisch!
Welch Blödsinn, unhistorischer obendrein. Bei den Grünen ging es Ende der Siebziger auch nicht anders zu. Programm? Nur depressives Weltgesäusel plus Öko!, Inhalt? Nur spurenhafte, aber unisono Ablehnung des sogenannten „Systems“!
Nun ließe sich sagen, dass die Grünen wenigstens die Umweltverschmutzung auf ihre Agenda gepackt hatten. Stimmt. Hatten aber auch schon die Sozialdemokraten, Ende der Sechziger mit dem Versprechen, den Himmel über der Ruhr ins Bläuliche zurückemittieren zu lassen. Das heißt: Auf die Konkretion von Spiegelstrichen im Programm kommt es weniger an als landläufig gemeint wird. Die Grünen waren und sind vor allem ein Lebensgefühl. Irgendwie ganz anders und doch durchsetzungsfähig. Ebenso die Piraten.
So wie die Grünen wollen sie nicht sein, nicht so perlenkettig und enervierend besserwisserisch. Ihr Credo: transparency. Reicht doch vorläufig. Parteichef Bernd Schlömer verkörpert wie auch Marina Weisband als Exvorstandskollegin dieses neue Gefühl in mittelschichtigen Milieus: nirgends Geifer, ihre Sprache angenehm umgangssprachlich, ihre Manieren anschlussfähig und frei von pubertierender Allüre. Und, die Pointe, sie verstehen sich allesamt als (links-)liberal.
Man braucht sie, weil sie fehlten. Die Piraten werden zu Unrecht unter die Fünfprozenthürde gequatscht. Sie werden ihre Verwerfungen bewältigen. Viel zu sympathisch, diese Neuen, als dass man sie nicht für voll nehmen sollte, müsste – und möchte.
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