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Kommentar PatientenrechtegesetzUnfehlbar? Fehlbar!

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Wenn ein Arzt einen Fehler macht, liegt es beim Patienten, das zu beweisen. Das könnte das neue Gesetz umkehren – wenn es die Politik nur wollte.

W enn bei einem Flugzeug eine Schraube fehlt, bleibt es am Boden. Das Risiko eines Absturzes ist zu hoch. Wenn ein Arzt müde ist, kann es sein, dass er trotzdem operiert – und Fehler macht. Wenn er nicht gerade den linken statt den rechten Fuß amputiert, muss der Patient beweisen, dass er aufgrund des Arztfehlers krank ist oder krank bleibt.

Das könnte das Patientenrechtegesetz, das in wenigen Monaten in Kraft treten soll, mit einer Beweislastumkehr ändern: Danach müsste der Arzt nachweisen, dass er keinen Fehler gemacht hat.

Aber dieser Passus steht nicht im Gesetz, er ist politisch nicht gewollt. Die Lobby der Mediziner, Gutachter und Medizinischen Dienste ist groß, sie stellt sich hinter die Ärzteschaft. Geschädigte Patienten spüren das am eigenen Leib. Manche kämpfen seit Jahren vergeblich um Entschädigung.

Bild: privat
Simone Schmollack

ist Redakteurin im Inlandsressort der taz.

Umfragen zufolge geben nur etwa 30 Prozent der Ärzte zu, dass ihnen Fehler unterlaufen könnten. Die Mehrheit glaubt also, dass sie unfehlbar ist. Aber das ist ein Trugschluss, wie die offiziell festgestellten Behandlungs- und OP-Fehler belegen. Alleine 2011 waren es Tausende. Patientenrechtler gehen allerdings von einer noch größeren Dunkelziffer aus.

Dass Ärzte eine Beweislastumkehr ablehnen, ist – aus ihrer Sicht – verständlich. Sie fürchten finanzielle Schäden und Imageverlust. Das muss aber nicht sein. Nämlich dann, wenn Ärzte ihre Patienten als Menschen behandeln und nicht wie „Kostenstellen“. Es gibt viele gute Ärzte. Aber es gibt nicht wenige, die ihre Patienten kaum aufklären, sie von oben herab und „irgendwie“ behandeln. Dass das Unzufriedenheit ebenso wie Fehler produziert, ist klar.

Das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten ist vielerorts gestört. Es liegt in der Hand der Mediziner, es wieder herzustellen.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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6 Kommentare

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  • T
    Typ

    Die aktuelle Beweislastlage ist bloß logische Konsequenz der gegebenen Kompetenzen, der Arzt hat nämlich nicht aus Jux und Dollerei 10 Semester Medizin studiert, und kann sich nicht vor jedem Patienten, der sein Krankheitsbild mal schnell auf Wikipedia nachgeschlagen hat, stundenlang rechtfertigen.

     

    Die Marathondienstzeiten sind übrigens keineswegs die Fehler der Ärzte, sondern des Mangels an solchen. Natürlich sollte der Arzt nach 8 Stunden belastender Arbeit nach hause gehen. Dann wäre aber halt niemand im Krankenhaus da, um sich um den Patienten zu kümmern, um den sich jetzt halt der müde Arzt kümmert.

     

    anke: "Und immerhin müssten die Kassen (resp. die beitragszahler) ja keine sündhaft teuren Überstunden finanzieren, wenn die Ärzte gar keine Überstunden machen dürften."

    Super, stattdessen sinkt einfach das Angebot an medizinischer Versorgung, weil nicht mehr so viele Arztstunden vorhanden sind, bei gleicher Nachfrage. Die Kosten müssen bei sowas steigen, oder es werden schon für einfachste Akutbehandlungen (z.B. nach Unfällen) Lotterien eingeführt, wie sie im moment nur bei Spenderherzen existieren. Beides wirkt einer Beitragssenkung eher entgegen.

     

    "Gehälter > 5.000 Euro pro Monat sollen ja keine Seltenheit sein. Unter Ärzten, meine ich. Unter Busfahrern eher schon."

    Stimmt, der Arzt hat ja auch 10 Semester studiert, und zwar ein Fach mit einem NC im Einserbereich, dann promoviert, hat sich jahrelang als Assistenzarzt ausbeuten lassen, um als Oberarzt dann endlich ein überdurchschnittliches Gehalt zu haben. Der Arzt bringt also ein wesentlich höheres Humankapital mit sich, und kann deshalb nicht einfach mit dem Busfahrer gleichgesetzt werden. Ich höre in ihrer Argumentation lediglich Sozialneid.

  • T
    Typ

    Die aktuelle Beweislastlage ist bloß logische Konsequenz der gegebenen Kompetenzen, der Arzt hat nämlich nicht aus Jux und Dollerei 10 Semester Medizin studiert, und kann sich nicht vor jedem Patienten, der sein Krankheitsbild mal schnell auf Wikipedia nachgeschlagen hat, stundenlang rechtfertigen.

     

    Die Marathondienstzeiten sind übrigens keineswegs die Fehler der Ärzte, sondern des Mangels an solchen. Natürlich sollte der Arzt nach 8 Stunden belastender Arbeit nach hause gehen. Dann wäre aber halt niemand im Krankenhaus da, um sich um den Patienten zu kümmern, um den sich jetzt halt der müde Arzt kümmert.

     

    anke: "Und immerhin müssten die Kassen (resp. die beitragszahler) ja keine sündhaft teuren Überstunden finanzieren, wenn die Ärzte gar keine Überstunden machen dürften."

    Super, stattdessen sinkt einfach das Angebot an medizinischer Versorgung, weil nicht mehr so viele Arztstunden vorhanden sind, bei gleicher Nachfrage. Die Kosten müssen bei sowas steigen, oder es werden schon für einfachste Akutbehandlungen (z.B. nach Unfällen) Lotterien eingeführt, wie sie im moment nur bei Spenderherzen existieren. Beides wirkt einer Beitragssenkung eher entgegen.

     

    "Gehälter > 5.000 Euro pro Monat sollen ja keine Seltenheit sein. Unter Ärzten, meine ich. Unter Busfahrern eher schon."

    Stimmt, der Arzt hat ja auch 10 Semester studiert, und zwar ein Fach mit einem NC im Einserbereich, dann promoviert, hat sich jahrelang als Assistenzarzt ausbeuten lassen, um als Oberarzt dann endlich ein überdurchschnittliches Gehalt zu haben. Der Arzt bringt also ein wesentlich höheres Humankapital mit sich, und kann deshalb nicht einfach mit dem Busfahrer gleichgesetzt werden. Ich höre in ihrer Argumentation lediglich Sozialneid.

  • A
    anke

    Man sollte doch bitte das Kind nicht gleich mit dem Bade ausschütten, Frau Schmollack.

     

    Ärzte sind Staatsbürger wie alle anderen. Es sollten also für Mediziner die selben Grundsätze gelten, wie für die übrigen Berufsgruppen auch. So lange man noch nicht alle Alternativen versucht hat, sollte man sich jedenfalls hüten, bewährte Grundprinzipien leichtfertig über Bord zu kippen.

     

    Sinnvoller, als eine "Umkehrung der Beweislast", wäre im vorliegenden Fall wohl eine gesetzliche Gleichbehandlung. Es ist schließlich gar nicht einzusehen, wieso für Chirurgen nicht gelten sollte, was zum Beispiel für Busfahrer gilt. Während die einen behaupten dürfen, sie wären auch nach 12 oder 14 Stunden Dauereinsatz noch fit genug, im Bruchteil von Sekunden über Leben und Tod zu entscheiden, zieht die Polizei die anderen erbarmungslos aus dem Verkehr, wenn sie ihre 9-stündige Tages-Lenkzeit überschreiten. Wie es zu so einer "Privilegierung" der Mediziner kommen konnte, ist mir echt ein Rätsel!

     

    Hier geht es tatsächlich mal um die sogenannten Rahmenbedingungen, für welche die Politik angeblich zuständig ist. Entsprechende gesetzliche Regelungen sind längst überfällig. Natürlich hätten eine "Deckelung" der Mediziner-Tagesarbeitszeiten diverse Nebenwirkung. Eine davon könnten beispielsweise darin bestehen, dass die Wartezeiten für Patienten noch länger werden, als sie ohnehin schon sind. Da es aber angeblich mal eine "Ärzteschwemme" gegeben hat, dürfte sich dieses Problem irgendwann von selbst regulieren. Und immerhin müssten die Kassen (resp. die beitragszahler) ja keine sündhaft teuren Überstunden finanzieren, wenn die Ärzte gar keine Überstunden machen dürften.

     

    Viel schlimmer, nehme ich an, wäre die "Lobbyarbeit" jener Mehrheit der Mediziner, die überzeugt sind, sie würden trotz 60- oder 80-Stunden Woche keine Fehler machen – und hätten also ein Anrecht auf die entsprechende Entlohnung. (Gehälter > 5.000 Euro pro Monat sollen ja keine Seltenheit sein. Unter Ärzten, meine ich. Unter Busfahrern eher schon.) Ich nehme also an, dass die Betroffenen sich gegen die Unterstellung, sie könnten wie andere Menschen ermüden, mit allen Mitteln zur Wehr setzen würden.

     

    Momentan ist mein Vertrauen so sehr erschüttert, dass ich gewissen Leuten sogar zutraue, dass sie Frau von der Leyen zur Kommunistin erklären oder öffentlich die angeblichen Jugendsünden des Herrn Sauer thematisieren, und zwar in der Hoffnung, Frau Merkel damit untragbar zu machen. Wie die deutsche Ärzteschaft nach Ansicht der Frau Schmollack mein Vertrauen in die Menschheit ganz allein wieder herstellen soll, würde mich interessieren. Dass Ärzte nämlich allesamt auch nur Halbgötter sind, habe ich noch nie geglaubt. Da glaube ich schon eher an die kollektive Himmelfahrt deutscher Busfahrer.

  • N
    naseweiser

    Es wird wohl noch tausend Jahre brauchen , bis es eine Revolution in der menschenfeindlichen Krankheitswirtschaft , vulgo : Gesundheitswesen , geben wird . Angefangen bei der Medizinerausbildung , bei der Auswahl derer , die später als Ärzte auf die Menschheit losgelassen werden , bis hin zur vollständigen Überführung des Gesundheitswesens (einschließlich derzeitiger Pharmafia ) in staatliche Regie .

  • N
    Normalo

    Hier träumt wohl mal wieder Jemand den Traum des ewig Unschuldigen, der immer einen Schuldigen für sein Leid findet.

     

    Verehrte Frau Schmollack,

     

    der menschliche Körper ist keine mathematische Gleichung. Manchmal passieren schlechte Dinge im Körper einfach oder funktionieren Therapien nicht, ohne dass irgendwer dafür kann. Das ist dann traurig für den Patienten, aber kein Grund, den Arzt zu verklagen. Nur wird der traurige Patient das oft genug anders sehen und trotzdem "Kunstfehler!" schreien.

     

    Das Problem ist nur, dass es schier unmöglich ist, die Abwesenheit von Dingen stringent zu beweisen. Der Arzt mag jeden Schritt seiner Behandlung irgendwie beweisbar dokumentiert haben (die Zeit dafür zahlt die Allgemeinheit dann über nochmal drastisch höhere Beiträge), er wird nie BEWEISEN können, dass nicht dazwischen doch irgendwo ein Fehler passiert ist.

     

    Im Übrigen sollten auch Sie nicht vergessen haben, dass wir einem Rechtsstaat leben, und der immer noch den Grundsatz "in dubio pro reo" hochhält.

  • F
    Fisch

    Die Beweislastumkehr gibt es doch längst. Das ist tägliche Praxis vor Gericht, auch wenn es nicht explizit im Gesetz steht. Selbst bei einer gesetzlichen Regelung müsste der vermeintlich geschädigte Patient darlegen, dass ein Arztfehler zumindest möglich ist. Wo ist der Unterschied?