Kommentar Parteien-Flügelkämpfe: Wahllos in den Wahlkampf
Der Wahlkampf für die Bundestagswahl hat nach der Koalitionsrunde begonnen. Doch in den Parteien herrschen Flügekämpfe über Sozial-, Finanz- und Wirtschaftspolitik.
Nach der Koalitionsrunde vom Montagabend sind die Parteien endgültig in den Wahlkampf eingetreten. Bei der Bahnprivatisierung und der Mitarbeiterbeteiligung haben sich die drei Regierungsparteien SPD, CDU und CSU letztmals auf konkrete Projekte einigen können. Das Koalitionstreffen zum Mindestlohn im Juni wird nur noch dazu dienen, den Dissens öffentlichkeitswirksam darzustellen. Alle übrigen Vorhaben werden derzeit vor allem von der CSU torpediert, die im September in Bayern ihre schwierigste Landtagswahl seit 1962 zu bestehen hat und deshalb selbst Beschlossenes wieder zerredet.
Ein Dauerwahlkampf wäre indes nichts Schlimmes, würden sich dabei klare Alternativen abzeichnen. Das ist aber nicht der Fall. Der Grundsatzstreit über die Sozial-, Finanz- und Wirtschaftspolitik - die bestimmenden Themen der Bundestagswahl - spaltet inzwischen alle fünf im Parlament vertretenen Formationen. Nicht nur bei SPD, Union und Grünen liegen Reform- und Sozialflügel im Clinch. Inzwischen ist auch bei der Linkspartei ein Lagerkampf zwischen ostdeutschen Reformern und westdeutschen Altlinken entbrannt. Umgekehrt entdeckt die FDP ihre sozialliberale Ader neu.
Bei den Liberalen sind die künftigen Koalitionsoptionen das entscheidende Motiv, die einstigen Reformparteien Union, SPD und Grüne hingegen treibt die Angst vor dem Volkszorn. Immerhin 89 Prozent der Deutschen befürworten nach einer gestern veröffentlichten Umfrage die Rentenpläne des CDU-Arbeiterführers Jürgen Rüttgers, die vom politischen Establishment fast geschlossen abgelehnt werden.
Erstmals erlebt die Republik im Herbst 2009 eine Bundestagswahl, deren inhaltliches Resultat die Wählerinnen und Wähler praktisch überhaupt nicht beeinflussen können. Das liegt nicht so sehr an der neuen Flexibilität in Koalitionsfragen. Die wäre kein Problem, würden die neuen Bündnisse eine programmatische Schnittmenge der beteiligten Parteien herbeiführen. Eine solche Schnittmenge ist aber nicht mehr kalkulierbar, wenn die zentralen Fragen der Zeit quer zu den Parteilinien diskutiert werden. So droht sich der Spruch, dass Wahlen sowieso nichts ändern, diesmal zu erfüllen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trotz widersprüchlicher Aussagen
Vermieter mit Eigenbedarfsklage erfolgreich
Inhaftierte Antifaschist*in in Ungarn
Maja T. tritt in den Hungerstreik
Greta Thunbergs Soli-Aktion mit Gaza
Schräger Segeltörn
Klingbeils Pläne für Dienstwagen
Neue Vorteile für dicke Autos
Aktion der Neuen Generation
Klimaaktivist:innen blockieren Springer
Bundeswehr an Schulen
Der Druck auf die Jugend wächst