piwik no script img

Kommentar Panikmache bei TwitterWo viele Vögel zwitschern

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Räumung sofort! Polizeieskalation! Tweets zur Situation in der besetzten Schule machen viel Wind, sind aber nicht immer richtig. Oder hilfreich.

W er in den letzten Tagen über die Ereignisse in der besetzen Gerhart-Hauptmann Schule auf dem Laufenden bleiben wollte, musste nur Twitter verfolgen. Mehrere Tausend Tweets ergaben ein umfangreiches Bild. Nur leider stimmte das oft nicht.

Denn wer in den letzten Tagen den Hashtag Ohlauer verfolgte, bekam alle paar Stunden mitgeteilt, dass die Räumung der besetzen Schule unmittelbar bevorstünde und deswegen „alle“ aufgefordert wurden, „sofort“ zur Schule zu kommen. Aus Einzelbeobachtungen etwa über Polizisten verbreitete sich im Netz immer wieder eine Panikmache, die drastisch von der Realität kontrastiert wurde. Denn wer daraufhin mit Menschen vor der Schule telefonierte, bekam meist „Alles ruhig“ zu hören.

Kaum zu überprüfen

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist an dieser Gerüchteküche nicht unschuldig. Weil er Journalisten nicht auf das Schulgelände lässt, können die Medien die Nachrichtenfetzen kaum überprüfen. Auch deswegen geht die taz juristisch weiter gegen diesen Ausschluss vor.

Twitter ist im Fall der Schule zu einem Ersatzmedium geworden, für das leider viele journalistische Regeln nicht gelten. Das bedeutet, dass die Verfolger von #Ohlauer ein gesundes Misstrauen gegenüber allen 140-Zeichen-Meldungen entwickeln sollten. Viele sind schlicht falsch. Das bedeutet auch, dass die Twitterer ihrer publizistischen Verantwortung bewusst werden müssen: Einfach so eine Eskalation herzeizuzwitschern gefährdet die Situation der Flüchtlinge (auch die Polizei liest inzwischen Soziale Medien), reduziert die Glaubwürdigkeit des Nachrichtenkanals generell und kann deswegen nicht im Sinne der Unterstützer sein: Wenn es wirklich zu einer Räumung kommen sollte, halten das alle für Unsinn.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!