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Kommentar Palästinensische HäftlingeHungern für ein Selfie

Kommentar von Susanne Knaul

Im Einzelfall kann der Hungerstreik erfolgreich sein. Als Massenprotest ist die Nahrungsverweigerung erfahrungsgemäß wenig sinnvoll.

Der führende Kopf des Hungerstreiks und Hoffnungsträger der Palästinenser: der in Israel inhaftierte Fatah-Politiker Marwan Barghuti Foto: ap

H ungerstreiks palästinensischer Häftlinge sind für Israels Sicherheitsbehörden ein empfindliches Thema. Um den Tod eines Häftlings und die darauf sicher folgenden Unruhen zu verhindern, haben Anwälte wiederholt Kompromisse für ihre hungerstreikenden Mandanten erwirken können. Meist geht es bei sogenannten Administra­tivhäftlingen darum, die Haftzeit, die den israelischen Regeln entsprechend alle sechs Monate von Richterhand verlängert werden muss, stillschweigend auslaufen zu lassen. Im Einzelfall kann der Hungerstreik also Früchte tragen. Als Massenprotest hingegen ist die Methode der Nahrungsverweigerung erfahrungsgemäß wenig sinnvoll, wenn nicht sogar kontraproduktiv.

Marwan Barghuti, einst Chef der Fatah-Jugend, hält die Zügel beim Streik der Häftlinge in den Händen. Der zu mehrfach lebenslänglicher Haft verurteilte Politiker hat hinter Gittern promoviert, auf Hebräisch. Das Fernstudium an einer israelischen Universität gehörte über Jahre wie selbstverständlich zu den Rechten der Häftlinge, bis die Gefängnisbehörde als Reaktion auf einen Streik die Lehrbücher aus den Zellen entfernen ließ.

Barghuti spricht in seinem Appell, sich dem Hungerstreik anzuschließen, von Folter und Erniedrigung. Tatsächlich entsteht beim Lesen der Forderungsliste der Eindruck, als sei es um die Bedingungen in den Gefängnissen gar nicht so schlecht gestellt. Denn dort ist weder von Haft ohne Richter noch von Peinigern in Uniform die Rede, obschon es bekanntermaßen beides gibt – sondern von Satellitenfernsehen, vom Zugang zum Telefon und vom Selfie, das alle drei Monate im Rahmen der Familie fortan möglich sein soll.

Wie lange es sich dafür zu hungern lohnt, mag sich der ein oder andere der rund 1.500 Streikenden sehr bald selbst fragen. Und dann vermutlich viel früher aufgeben, als es Bar­ghuti und seine Mitstreiter erwarten mögen.

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Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.
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2 Kommentare

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  • Auch hagalil hat zum besseren Verständnis der Person Barghoutis einen Beitrag gebracht:

    http://www.hagalil.com/2017/04/barghouti-3/#more-46052

  • Ich hatte eigentlich gehofft, beim Lesen dieses Artikels erklärt zu kriegen, warum die Nahrungsverweigerung "als Massenprotest […] erfahrungsgemäß wenig sinnvoll [ist]". Genau das wird schließlich in der Überschrift behauptet. Von ganz alleine aber erschließt es sich mir aber nicht.

     

    So weit ich weiß, sind Hungerstreiks in Israel verboten. Je mehr Inhaftierte also mitmachen dabei, um so machtvoller wirkt die Demonstration, um so größer ist der Sog, den die Aktion entwickelt, und um so stärker wird der Druck, der via (Welt-)Öffentlichkeit erzeugt werden kann auf die Verantwortlichen.

     

    Meine Hoffnung auf Aufklärung wurde leider enttäuscht. Warum die Nahrungsverweigerung "als Massenprotest […] erfahrungsgemäß wenig sinnvoll [ist]", habe ich nicht erfahren. Erfahren habe nur, wieso der Versuch riskant sein kann, 1.500 Leute dazu anzustiften, ihr Leben im Kampf um Satellitenfernsehen, Zugang zu Telefonen und Selfies einzusetzen.

     

    Susanne Knaul hat sicher recht: Die Machtdemonstration ist wahrscheinlich nicht sehr lange durchzuhalten. Gut vorstellbar, dass sie nach ein paar Tagen kläglich in sich zusammenfällt und der Protest "versickert". Weil Selfies, Sat-TV und häufigere Telefonate in einem Land, in dem es noch Haft ohne Richter und Peiniger in Uniform gibt, dann eben doch eher unter "nice to have" fallen, unter: "wär' schon ganz schön, geht aber notfalls auch gut ohne" also.

     

    Marwan Barghuti, der Mann, der "die Zügel beim Streik der Häftlinge in den Händen [hält]", riskiert offenbar viel für seinen eignen Führer-Ruhm. Zu viel, befürchte ich, als dass er Israel damit verändern könnte. Zum Guten, wohl gemerkt.