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Kommentar PalästinenserDie Hamas zeigt Schwäche

Kommentar von Susanne Knaul

Die Schusswechsel bei der Arafat-Erinnerungsfeier zeugen vom Niedergang der Hamas. Völlig zu Recht fühlen sich Menschen von ihr ebenso betrogen wie von Abbas.

Bild: taz

Susanne Knaul ist Nahost-Korrespondentin der taz.

Über 200.000 Menschen zog es in Erinnerung an den legendären PLO-Chef Jassir Arafat, drei Jahre nach dessen Tod, auf die Straße. Das ist fast jeder sechste Bewohner des Gazastreifens, Kinder inbegriffen. Überrascht und verängstigt angesichts des riesigen Menschenaufgebots, das sich sechs Monate nach der gewaltvollen Machtübernahme zum ersten Mal offen gegen die neue Führung auflehnte, schlugen die Sicherheitsleute mit einer solchen Brutalität zurück, die sonst nur totalitären Regimen eigen ist. Ein Image, das die Hamas stets zu verwischen suchte.

Die Polizisten in schwarzer Uniform schossen mit scharfer Munition in die Rücken der fliehenden Palästinenser, die zuvor friedlich an den Chef und Gründer der Fatah erinnerten. Damit sind sie vom Retter des Volkes, das sie aus den Händen der korrupten Fatah-Führung befreien wollten, zum Feind der Menschen in Gaza geworden. Zumindest der extremere und der militante Flügel der Bewegung, der sich von Expremierminister Ismail Hanijeh zunehmend unabhängig macht.

Die dramatisch sinkende Popularität der islamischen Extremisten in der Bevölkerung und der immer deutlicher werdende Riss innerhalb der Hamas lassen die Führung im Westjordanland auf Veränderung hoffen. Schon ruft Mohammed Dahlan, ehemals Chef des gefürchteten Präventiven Nachrichtendienstes in Gaza und Erzfeind der Hamas, zu weiteren Demonstrationen auf, um "das Leiden des palästinensischen Volkes und das Leben der blutrünstigen (Hamas-)Bewegung zu verkürzen". Hatte Dahlan im vergangenen Sommer aus sicherer Entfernung beobachtet, wie seine direkten Untergebenen auf offener Straße abgeschlachtet wurden, so schickt er nun erneut Fatah-Aktivisten anstelle seiner selbst in den Kampf.

Die Massendemonstration war indes keine Sympathiekundgebung für die Fatah oder gar für die Führung im Westjordanland, sondern eher ein Protestzug gegen die Hamas. Die Menschen in Gaza fühlen sich von ihrem Präsidenten Mahmud Abbas zu Recht genauso betrogen wie von der neuen Führung.

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Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.

1 Kommentar

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  • BW
    Berno Wies

    Bravo,Frau Knaul!

    Wenn Sie jetzt noch ebenso differenziert über den

    alltäglichen Terror der israelischen Armee gegen

    die Bevölkerung Palästinas,die Strangulierung jeglichen öffentlichen Lebens,die seit Jahrzehnten andauernde Vernichtung der Lebensgrundlagen der

    Palästinenser - tagtägliche "Maßnahmen" der israelischen Regierung und ihrer Armee, über die fast nur noch Menschenrechtsorganisationen infor-

    mieren - berichten würden,könnte man von einer ausgewogenen Berichterstattung sprechen.

    Wie kann man z.B.nur die wiederholten Hilferufe

    Leiters der UN-Hilfsorganisation für Palästina(UN

    WRA),John Ging,überhören,der in seinem Appell an die Weltöffentlichkeit immer wieder von einer kaum noch zu verhindernden Katastrophe für die Bevölkerung Palästinas (nicht nur des Gaza-Streifens) warnt: "Die humanitäre Lage bedeutet eine akute

    Krise für jede Familie in ihrem Kampf ums Überleben"(FRANKFURTER RUNDSCHAU,13.11.07).