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Kommentar OrganspendeMein Herz gehört mir

Kommentar von Oliver Tolmein

Am Anfang einer neuen gesellschaftlichen Diskussion über die Organspende muss ein Bekenntnis zum Recht stehen, sich nicht zu erklären und auch nicht zu spenden.

E s ist wie im Kabarett: Wer seinen Führerschein abholen will, bekommt von einem Beamten zu hören: "Moment, erst hier unterschreiben, Organspende ja oder nein?!" Aber das EU-Parlament und Politiker wie der Unionsfraktionsvorsitzende Kauder meinen die "Einwilligungslösung" ernst, die jedem eine Entscheidung darüber abnötigt, ob sie oder er zur Organspende bereit ist oder nicht.

Die Argumente für diese Nötigung sind schlicht: Der Aufwand sei gering, der Nutzen der Organspende erheblich, und in Meinungsumfragen würden ohnehin über 70 Prozent der Befragten ihre Bereitschaft zur Spende erklären. Aber: Mindestens 90 Prozent der Bevölkerung würden im Umfragen jederzeit erklären, dass sie gern Gutes tun. Praktisch tut es trotzdem kaum jemand.

Werbung für Spendererklärungen und Aufklärungskampagnen gibt es in großer Zahl. Wenn es trotzdem im Bundesdurchschnitt nur 14,3 Spender auf eine Million Einwohner gibt, ist das grundsätzlich zu respektieren.

Das bei anderer Gelegenheit viel beschworene Recht auf Selbstbestimmung umfasst auch das Recht, sich nicht zu einer wichtigen Frage zu erklären, es erlaubt sogar träge zu sein. Möglicherweise haben viele derer, die keinen Organspenderausweis ausgefüllt haben, überdies gute Gründe dafür. Vielleicht haben Sie eine Patientenverfügung verfasst, in der sie es ablehnen, am Lebensende mit High-Tech-Medizin behandelt zu werden. Vielleicht sind sie der Meinung, dass sich der Tod in Würde nicht damit vereinbaren lässt, mit funktionierend gehaltenem Kreislauf operiert und von Nieren, Leber oder Herz befreit zu werden.

Am Anfang einer neuen gesellschaftlichen Diskussion über die Organspende muss - wenn zu einer freiwilligen Entscheidung motiviert und nicht ein moralischer Zwang postuliert werden soll - ein Bekenntnis zum Recht stehen, sich nicht zu erklären und auch nicht zu spenden.

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9 Kommentare

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  • P
    petronius

    das "Recht, träge zu sein" darf natürlich jeder für sich in anspruch nehmen. es bedeutet, andere (z.b. den gesetzgeber) für einen selbst entscheiden zu lassen

     

    ich hab kein problem mit der in meiner heimat geltenden widerspruchsregelung: wer zu träge ist, sich selber gedanken zu machen und eine entscheidung zu treffen, der ist halt automatisch organspender

     

    so ist die trägheit wenigstens zu was gut

  • SG
    Steffi @ Gockeline

    Mann, sich sogar noch über einen Artikel aufregen zu können, in dem der Autor dieselbe Meinung vertritt wie man selbst, ist echt ne steile Leistung!

    *verneig

  • SA
    Steffi @ Alex

    Hab' grad mal bei Wikipedia geschaut. Laut dem Artikel "Organspende" verhält es sich derzeit folgendermaßen:

     

    "In Deutschland gilt die erweiterte Zustimmungslösung, das heißt man kann die Zustimmung zur Organspende zu Lebzeiten zum Beispiel in einem Organspendeausweis dokumentieren.

    Liegt bei einem Verstorbenen keine dokumentierte Entscheidung zur Organspende vor, so müssen die Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen entscheiden."

     

    Also die Leute, die mit "Ich muss mich nicht entscheiden" im Grunde einfach nur "Nein" meinen, täten besser daran, den Organspendeausweis mal schön auszufüllen und "Nein" anzukreuzen, für den Fall dass unter den Angehörigen Organspendebefürworter sind.

    (Ganz abgesehen davon, dass ich mir verbitte, dass sie mit ihrem Geschwafel meine Aufmerksamkeit besetzen, für etwas, dass man auch in einem einzigen Wort ausdrücken kann...)

     

    Und bei denen, die wirklich das meinen, was sie sagen "Ich muss das nicht entscheiden", was ja gleichbedeutend ist mit "Ich will, dass meine Angehörigen das für mich entscheiden.", wüsstich ja gerne mal, wie Gespräeche zu Lebzeiten mit besagten Angehörigen über dieses Thema verlaufen.

    "Was wäre denn ungefähr Dein mutmaßlicher Wille?"

    "Das verrat ich nich, das verrat ich nich, hihihi".

  • K
    K.F.G.Müller

    Solange ich als prekariatsangehöriger eine medizin zweiter klasse bekomme, z.t. monate auf eine untersuchung beim facharzt warten muss und durch kumulative nachteile - schlechte wohnlage, billigfrass, miese arbeitsschutzbedingungen, soziale stressoren, etc. - mindestens zehn jahre vor den bessergestellten ins gras beissen muss, solange nehme ich meine organe mit ins grab! warum sollte ich einer kaste, die alle vorteile für sich vereinnahmt - inclusive firstclass-medizin - und dabei meine lebensverhältnisse verursacht, mindestens aber stillschweigend gutheisst, warum also sollte ich angehörigen dieser "elite" mit meinen organen zu weiteren jahrzehnten schmarotzertum auf dieser erde verhelfen? ich war zwanzig jahre lang - seit meiner schulzeit - organspender! mit einführung der gemeinhin als "hartz-gesetze" bekannt gewordenen kriegserklärung an die "unterschicht" (so heisst unsereiner ja jetzt) habe ich meinen organspenderausweis zerrissen ! die "leistungsträger" haben damals das band der solidarität zerschnitten, dem prekariat weltweit den krieg erklärt - das ist keine einbahnstrasse! ihr braucht organe? kauft euch doch welche!

  • A
    Alex

    Was dabei immer vergessen wird ist, dass die Gesetzeslage ja immer irgendeine Vorgehensweise definieren wird, für den Fall, dass man sich selber nicht geäußert hat.

    Bei uns im heutigen Deutschland ist das meines Wissens gleichbedeutend mit "Nein" sagen.

    (Dass dann die engsten Angehörigen entscheiden, wie Kommentatorin Steffi annimmt, gilt in Deutschland meines Wissens nur für minderjährige Verstorbene.)

     

    Und ob so oder umgekeht (Also ob man nun definiert "sich nicht selber äußern heißt nein sagen" oder ob man nun definiert "sich nicht selber äußern heißt ja sagen")

    beides bedeutet, dass man sich in Wirklichkeit sehr wohl bereits entschieden hat, indem man sich nicht äußert.

     

    "Ich weigere mich, mich dazu zu äußern" ist also esoterisches Geseier und im schlimmsten Fall sogar gezielte Desinformation.

    Das geht nämlich gar nicht.

    Auf der rein faktischen Ebene (Was passiert letztendlich wirklich mit den Organen?) hat man damit "nein" gesagt und das sollte man sich einfach mal kurz klar machen, bevor man lange rumsülzt.

     

    Das ist vergleichbar mit dieser pseudoromantischen Aussage "Wenn ich dächte, ich bräuchte einen Ehevertrag, dann würde ich diese Person doch gar nicht erst heiraten."

    Man schließt beim Heiraten IMMER einen Ehevertrag, weil die Heirat ein Rechtsakt und die Ehe ein von vorne bis hinten juristisch definiertes Verhältnis ist.

    Die einzige Entscheidung vor der man dabei steht, ist, ob man einen Ehevertrag eingeht, den man wenigstens selber aufgesetzt hat oder ob man einen Ehevertrag eingeht, den der sogenannte Gesetzgeber aufgesetzt hat.

    Wohin da das Pendel ausschlägt sollte ja wohl klar sein.

     

    Und genau so ist es bei der Organspende auch.

    Falls die konkreten Organe eines konkreten Toten zu seinem konkreten Todeszeitpunkt tatsächlich gebraucht werden, spätestens dann wird IRGENDJEMAND IRGENDWIE entscheiden, wass denn nun passiert.

    Entweder der Gesetztgeber oder die Angehörigen oder man selbst.

    Also warum soll mans denn dann nicht gleich selbst machen?

    Wo doch "mein Herz mir gehört".

  • G
    Gockeline

    Gutmenschen kommen auf solche Gedanken und meinen sie seien die besseren Menschen?

    Der Organhandel blüht überall.

    Es wird viel Geld bezahlt.

    Es ist ein sehr gutes Geschäft.

    Die Kosten sind enorm hoch.

    Die bezahlen wir alle mit unseren Krankenkassenbeiträge mit.

    Nun sollen wir noch genötigt werden von der Politik unsre Organe zu spenden???

    Nein zu sagen wird angeprangert?

    Wenn Kinder krank werden ,weil ihre Eltern kaum Geld haben für Medizin,dann schreit niemand laut auf!

    Kinder müßten kostenlos behandelt werden können

    und nicht zur Organspende aufrufen!

  • S
    Steffi

    Na, wenn man halt findet, dass zum "In-Würde-Sterben" gehört, alle Organe zu behalten, dann kreuzt man eben "Nein" an.

    Das geht auf Organspendeausweisen nämlich.

    Man wird das Gefühl nicht los, dass die überwältigende Mehrheit der Leute, die gegen eine Äußerungspflicht den Hals aufreißt, sich noch nie so'n Teil angeguckt haben und "Äußerungspflicht" als "Zustimmungsprlicht" fehlinterpretieren.

     

    Dass sie ihre Organe behalten, wenn sie sich in keiner Richtung geäußert haben, wird ja gerade nicht funktionieren. Wenn die engsten Angehörigen dann zustimmen, hätten sie mal lieber "nein" angekreuzt.

     

    Was man eben weder vorhersehen noch beeinflussen kann, ist ja, ob die eigenen Organe zum eigenen Todeszeitpunkt gebraucht werden. Und falls ja, muss sich ja immer noch jemand entscheiden.

    Ja, wenn es doch eh' jemand entscheiden muss, dann mach ich's doch immer noch lieber selber!

  • H
    H.T.

    Das Recht nicht spenden zu wollen, das ist soweit ok.

    Aber wie sieht es dann mit dem Recht aus, ein Organ zu bekommen, wenn man es dann vielleicht mal braucht???

  • DJ
    Delphina Jorns

    Die Perversion des Selbstbestimmungsrechtes hat Konjunktur. Ständig wird von mir erwartet zu jedem Sachverhalt selbstverständlich eine Meinung abrufbereit zu haben - genauer gesagt: mich einer vorgefertigten Meinung anzuschliessen. Jetzt soll es also gesetzeswidrig (mindestens wohl ordnungswidrig) werden, keine Meinung zu haben - oder eben eine, die sich nicht mit einem Klick oder Kreuzchen erledigen lässt.

    p.s.: gebe zu, noch nicht einmal die "Entscheidung des Tages" in der taz zu meistern.