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Kommentar OrganspendeNeuanfang geht anders

Heike Haarhoff
Kommentar von Heike Haarhoff

Das neue Gesetz soll die Bereitschaft zur Organspende steigern, doch das Gegenteil ist der Fall. Die Zahl der möglichen Spenden ist ohnehin begrenzt.

D er 1. November sollte ein Tag des Neuanfangs sein für die Organspende. Mit dem neuen Transplantationsgesetz, so die Hoffnung, würden sich die Bürger, weil erstmals aktiv angesprochen, Gedanken machen, was mit ihrem Körper nach dem Tod geschehen soll – und sich zur Organspende bekennen.

Das Gegenteil ist der Fall. Erneut hat die Spendenbereitschaft drastisch abgenommen. Die Verunsicherung, ausgelöst durch die Skandale um Organhandel, ist nur ein Grund. Ebenso schwer wiegt der Vertrauensverlust, den ausgerechnet die Organisation zu verantworten hat, die die Organspenden koordiniert: Die Stiftung Organtransplantation ist seit einem Jahr selbst in den Schlagzeilen – nach Vorwürfen der Vetternwirtschaft und der Geldverschwendung gegen ihren Vorstand sanken die Zahlen ebenfalls.

Das ist nicht alles. Es ist ein Irrglaube, Organspenden ließen sich beliebig steigern. Die Zahl der Hirntoten ist begrenzt: Es gibt – Gurten und Helmen sei Dank – weniger Verkehrstote. Andere potenzielle Spender, Stichwort Patientenverfügung, landen erst gar nicht auf den Intensivstationen. Oder sie scheiden aus, weil ihre Organe zum Verpflanzen zu krank sind.

Bild: Wolfgang Borrs
HEIKE HAARHOFF

ist gesundheitspolitische Redakteurin der taz.

Und die gelobten Länder Spanien, Kroatien, USA? Wieso sind ihre Zahlen besser? Ganz einfach: Bei ihnen gilt die Widerspruchslösung. Jeder, der zu Lebzeiten nicht aktiv widersprochen hat, ist Organspender. Und: Erlaubt ist dort auch die Organentnahme nach Herz-Kreislauf-Stillstand; mitunter gehen die Organkoordinatoren gleich mit in die Notaufnahme, um potenzielle Spender zu identifizieren. Mancherorts darf zehn Minuten nach dem Herzstillstand entnommen werden – in Deutschland wird zu diesem Zeitpunkt oft noch reanimiert.

Politiker, die solche Tabubrüche auch hierzulande legalisieren wollen, sollten sich dazu bekennen. Das wäre ehrlicher, als der Bevölkerung permanent ein schlechtes Gewissen einzureden ob deren vermeintlich mangelnder Spendebereitschaft.

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Heike Haarhoff
Redakteurin im Inlands- und im Rechercheressort
Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
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16 Kommentare

 / 
  • W
    Wolf

    @ kommentator_neu

     

    Herzlichen Dank !!!

     

    Allen Polemisierern hier epmpfehle ich wirklich mal einen Besuch auf einer Kinderdialysestation. Das erdet dann evtl. etwas und richtet die verständliche (!) Wut neu aus ...

  • I
    ion

    @ kommentator_neu (09.11.2012 15:10),

     

    Ist Ihnen bekannt, dass immer mehr seriöse Wissenschaftler zunehmend und fundierter konstatieren, dass dem zeitgenössischen, ‘zivilisierten’ Menschen die Fähigkeit zur so genannten ‘Evolution’ abhanden kommt!?

    Warum wohl!

    Wer hier wohl: "das ganz große Rad" dreht - u.v.a.: in welche Richtung!

    Übermorgen erwecken ‘wir’ aus einer alten Frikadelle ‘Leben’ – sollte das der ‘Sinn der Existenz’ des humanen Affen (aka Mensch) sein‽

  • K
    kommentator_neu

    Hier wird ja das ganz große Rad gedreht... Ich würde allen selbsternnanten Experten und großartigen Erhaltern der Menschenwürde mal einen Besuch in der Kinderdialyse empfehlen... Vielleicht könnte das den Einen oder Anderen zu etwas mehr Empathie bewegen (und zu einer ehrlichen Auseinandersetzung mit sich selber?). Daneben würde ich empfehlen nicht jedem Transpantlationsmediziner oder auch Politiker die ganz große Weltverschwörung zu unterstellen.

  • I
    ion

    @ Detlef Bosau (03.11.2012 12:32),

     

    Sorry, eigentlich waren Sie der, der hier erstlich schrieb:

    "Wollen wir das mal fortschreiben?", und: "Das Ziel muß sein, zur Organtransplantation Alternativen zu schaffen und nicht andauernd Gott spielen zu wollen.";

     

    Mich würde aufrichtig interessieren, welche "Alternativen" Sie sich "zur Organtransplantation" vorstellen (könnten)?

    Anm.: "Gott spielen" würde das Sterben wohl kaum in Frage stellen, insofern "spielt" 'man-n' hier/dort wohl etwas anderes, oder?

     

     

    @ ohno (05.11.2012 19:44),

     

    Abgesehen davon, dass Nierentransplantante nicht näherungsweise "50 Jahre" durchhalten (vielleicht 15 J.): sind Sie sich darüber im Klaren, dass es zwischen einer "Zahnarztbehandlung" und einer Organtransplantation bereits den entscheidenden Unterschied gibt, dass S-/s-ie nach Organtransplantationen (in aller Regel) für den Rest I-/i-hres Lebens unter ärztlicher 'Aufsicht' zu stehen und in jedem Falle dauerhaft jede Menge Medikamente (mit jeder Menge 'Nebenwirkungen') zu schlucken haben (Immunsuppressiva, etc.)?!

    Wenn Sie alle 'medizinischen Behandlungs'-möglichkeiten (und für jeden) umsetzen wollen würden, die die heutige Medizin mit ihren rasant zunehmenden diagnostischen Mitteln (bereits) offeriert, hätten Sie umgehend die Insolvenzverfahren aller gesetzlichen Krankenkassen zu eröffnen: "Toller Ansatz."!

  • O
    ohno

    @J.Riga:

     

    Toller Ansatz. Warum machen wir denn überhaupt etwas, wenn wir sowieso bald tot sind?

     

    So kann man sich natürlich auch vor einer Antwort drücken. Das war schon immer so, was anderes machen wir lieber nicht.

     

    Mit dem Argument "Würde" kann ich auch jede Zahnarztbehandlung ablehnen, die ist nämlich manchmal auch ganz schön unwürdig. Das tut weh und stinkt. Echt furchtbar. Lieber gleich drauf verzichten.

     

    Im Übrigen glaube ich nicht, dass jemand, der eine Niere erfolgreich transplantiert bekommen hat, dass als "Pyrrhussig" betrachtet, nur, weil er 50 Jahre später sowieso tot sein wird.

     

    Deine "Antwort" (nicht) passt in den Zusammenhang ("... nur Druck aufgebaut wird, daß ich endlich sterbe ..." [D. Bosau]; "rumklempnern" [ion]) hier ganz gut rein. Lieber nichts tun, als jemandem zu helfen. Könnte ja Würde verloren gehen. Sterben ist da besser, das müssen wir sowieso.

     

    Weia.

     

    Und Dein "lieber Freund" bin ich nicht, oder weißt Du, wer ich bin?

  • I
    ion

    "Wollen wir das mal fortschreiben?" (Q.: 04.11.2012 14:44, von Irene);

     

    Danke(!), es denkt jemand weiter als bis zur nächstgelegen Kachelwand.

     

    Und dann(?): würden S-/s-ie sehr schnell auf die Vertreter, Anhänger, Mitläufer des so genannten “Transhumanismus” (H+) aufmerksam werden, die in den USA eine inzwischen nicht unbedeutende wissenschaftliche, politische und nicht zuletzt immer bedeutendere wirtschaftliche Macht mit sehr aktiver Einflussnahme sind. Der “Transhumanismus” ist meiner Meinung nach der am Horizont aufsteigende, 'potenteste' Neo-Faschismus (Eugenik, etc.) des Jahrhunderts.

     

    N.a. empfehlenswert wäre zu diesem Thema auch die von arte.tv am 23.10.d.J. ausgestrahlte und zum 22.11.d.J. (11:00 Uhr!) geplante Wiederholung der Dokumentation:

    «Welt ohne Menschen?» von Philipe Borrel;

    Eigene Website zur Dok: [http://www.arte.tv/de/6968786.html].

     

    Aber so lange 'wir' hier (in D) noch mit echten, mehr oder weniger frisch/-en (gestohlenen) Eingeweiden rumklempnern, um die 'man' sich ggf. streiten darf oder soll(!), umso ungestörter können sich die Vertreter der vorgenannten “international intellectual and cultural movement” (en.wikipedia.org) – von de.wikipedia.org zur: “philosophischen Denkrichtung” [sic!] hochgepimpte Minderwertigkeitskomplexe) prächtig weiter etablieren. Schon lange forschen diese Leute steuergelderfinanziert(!) und werden von Präsidenten (oder anderen, unverdächtig erscheinenden Meinungsmachern) in-direkt beworben, ohne dass die Öffentlichkeit über deren eigentlichen Ziele informiert oder deren 'Endziele' überhaupt umfassend zur Diskussion gestellt werden.

     

    Tja, Frau Haarhoff, "Neuanfang geht anders" – fürwahr!

     

  • I
    Irene

    "Wollen wir das mal fortschreiben? "Hochleistungsperformer in der Hochfinanz sucht neues Herz, wohlerhaltener Hartz IV, anders nicht verwertbar, wird unter Verzicht seines restlichen Köpers in den Kreislauf des Hochleistungsperformers integriert?""

    Tja, Soylent Green is people.

     

    Selbst hier wird noch von "Spende" geredet:

    http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/china-will-keine-organspende-von-hingerichteten-mehr-a-823291.html

  • J
    J.Riga

    @Ohno

    "Tod", mein lieber Freund, ist der Eintritt eines Zustandes, nach einem langen oder kürzeren, oder sehr kurzen Prozess, den man "Sterben" nennt.

    Man könnte das gesamte Leben eines Menschen, von Geburt an, als Sterbeprozess betrachten. Irgendwann müssen wir alle von dieser Welt ... und es ist nicht einzusehen, warum dieser Prozess künstlich durch Manipulationen der Medizin verhindert werden sollte, wenn dabei die Würde des Sterbenden und seiner Angehörigen verletzt werden muss, damit die Medizin wieder einen ihrer Phyrussiege feiern kann. Das Ziel des Lebens ist es zu sterben.

  • DB
    Detlef Bosau

    Wer meine Organe will, will zunächst einmal meinen Tod.

     

    Und solange das nicht klar ist und hier mit dem Druck zur Organspende nur Druck aufgebaut wird, daß ich endlich sterbe, werde ich einer Organentnahme nicht zustimmen.

     

    Heute schon werden verfügbare Organe nach "Kriterien" verteilt. Welches sind die? Wer für die Gesellschaft wertvoll ist, wird er halten, wer nicht, stirbt?

     

    Das ganze hat vor Jahren schon ein G'schmäckle gehabt, da hat der Erbprinz von Thurn und Taxis ein neues Herz gekriegt - es kam zur Abstoßungsreaktion - und bedarfsgerecht war das nächste Herz da, IIRC. Wäre das nicht Johannes von Thurn und Taxis gewesen sodern Johannes der Turnlehrer Taxis, hätte das vermutlich anders ausgesehen.

     

    Wollen wir das mal fortschreiben? "Hochleistungsperformer in der Hochfinanz sucht neues Herz, wohlerhaltener Hartz IV, anders nicht verwertbar, wird unter Verzicht seines restlichen Köpers in den Kreislauf des Hochleistungsperformers integriert?"

     

    Das Ziel muß sein, zur Organtransplantation Alternativen zu schaffen und nicht andauernd Gott spielen zu wollen.

  • O
    ohno

    @Josef Riga: Was ist denn Deiner Meinung nach "Tod"? Wenn jemand restlos vergammelt ist? Wenn er anfängt zu stinken? Wenn ihr Herz nicht mehr von alleine schlägt?

     

    Wenn Du ein besseres Kriterium für "Tod" als Hirntod hast, nur raus damit.

     

    Wir können natürlich auch komplett auf Transplantationen verzichten - Da solltest Du mal mit dem einen oder anderen Dialysepflichtigen sprechen, die werden da ganz begeistert sein.

  • SR
    scheintoten rechtslosen Patienten

    Solange Politiker Verfahren wie ELENA oder die eGK samt zentraler Patientendatenerfassung propagieren, solange traue ich denen und deren Umfeld nicht. Es ist ganz einfach.

  • D
    Delphi

    Solange diese linkischen Ärzte nicht vor Gericht stehen,werde ich nicht mehr (ich hatte einen Spenderausweis) mit Organspenden einverstanden sein.Man bedenke drei Patienten warten auf ein Spender-Herz. Ein Millionär, ein Mittelständler und ein Sozialhilfeempfänger. Wer wird wohl als erster das Herz bekommen?-,so wie es aussieht, doch der, der am meisten bieten kann. Man wird "ausgeschlachtet" und die Familie kommt noch für die Beerdigungskosten des "Restmülls" auf. Und das alles um einen Millionär zu retten und den Arzt noch etwas reicher zu machen? Es muss menschlich zugehen-das heißt Reihenfolge einhalten- bei den Organspenden und nicht der Status des Empfängers mitentscheidend sein.

  • T
    T.V.

    Ich fürchte eine Menge Politiker ist bereits hirntot. Ich bin sicher, sie spenden gern ihre Organe für "den guten Zweck".

  • JR
    Josef Riga

    "Hirntod" ist nicht gleich "Tod"! Es ist nur die bequeme ziellinie einer Apparate-Medizin, die die möglichst komplette Wiederverwertung meines Körpers im blick hat. Hirntod?! Fertigmachen zum Entern! Rein in den OP zum Ausschlachten!

  • M
    manfred (60)

    In den bekanntgewordenen Fällen wurden Patientendaten gefälscht. Nur die der Empfänger, oder auch die des potentiellen Spenders, um schneller an das gewünschte Organ zu kommen?

     

    Eine Reihe von Politikern will nicht mehr bis zum Hirntod warten, sondern den Herzstillstand als einziges Kriterium einführen. Wird also künftig in der Notfallmedizin nicht mehr reanimiert? Günstig für die Krankenkassen, die einen Haufen Behandlungskosten bei Unfallopfer sparen, lukrativ für die Versicherungen, die künftig an Unfallopfer weniger Rente zahlen müssen, mehr "Rohstoffe" für Organhändler, die sich, entgegen allen Beteuerungen, dieses Geschäft unweigerlich unter den Nagel reißen werden. Dafür werden schon die BWLer von den Wirtschaftsberatungen sorgen. Wie lange muß eigentlich das Herz aussetzen, um einen Herzstillstand festzustellen? Wahrscheinlich weniger lange als der Verstand bei denen, die uns diese Neuregelungen aufdrücken wollen.

     

    Fazit: Kein Organspenderausweis ist die beste Lebensversicherung.

  • H
    Hirntod

    Es geht eben nicht darum,was NACH dem Tod geschieht, sondern welcher Verwertung der Mensch VOR seinem Tod zustimmen soll. Endlich begreifen es immer mehr Leute, dass die ganze Organspenderei ein perverses Produkt von Effizienzdenken und naturwissenschaftlichem Interesse ist.