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Kommentar OlympiaGlobale Messe der Chemie

Kommentar von Ines Geipel

Über eine Million Körperfreaks nehmen in deutschen Fitnessstudios regelmäßig Steroide. Olympia fördert den Wunsch nach dem kontrollierten Körper.

O lympische Spiele sind seit jeher gigantische Umwälzmaschinen - von Glanz, Geld und Machtansprüchen. Die Spiele in Peking werden ein Olympia neuen Typs zwischen Sein und Schein, ein Megafest der Wünsche, Klischees und Illusionen, eine bizarre Mischung aus Trickkiste und Selbstbedienungsladen, ein vorläufiger Kulminationspunkt aus Kommerz und Betrug. Und nicht zuletzt eine globale Messe der Chemie.

Bild: dpa
Ines Geipel

war Hochleistungssportlerin in der DDR und lehrt heute als Professorin an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch.

Die aktuellen Messezahlen sind in Hinblick auf die schleichende Zwangsoptimierung von Hirnen, Seelen und Körpern zumindest handfest: Mehr als eine Million Körperfreaks nehmen etwa in deutschen Fitnessstudios regelmäßig Steroide und Wachstumshormone. In den USA konsumieren laut einer Studie sieben Millionen Kinder täglich Ritalin, eine Substanz, die für Patienten mit ADHS, dem sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom entwickelt wurde. 1990 wurden in Deutschland 1.500 Kinder mit diesem Medikament behandelt, 2007 waren es bereits 500.000 diagnostizierte ADHS-Fälle. Die Tendenz ist eindeutig, und zwar in allen Bereichen: Die Pharmazie ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, im Alltag. Nach- und Nebenwirkungen all der chemischen Zeitbomben? Komplette Fehlanzeige.

Es sieht sehr danach aus, als ob derzeit die Weichen hin zum perfekten, manipulierten, total konformen und nicht zuletzt auch kontrollierten Körper gestellt werden. Da ist die Forschungsoffensive der internationalen Pharmamultis nach neuartigen Lern- und Gedächtnispillen, dort sind die Billigstmassenprodukte auf unregulierten Märkten in Dopingländern wie China oder Russland. Für leistungssteigernde Mittel in einer von Narzissmus getriebenen Welt kann in jedem Fall gesorgt werden. Weil Bedürfnisse aber nicht permanent neu und von allein entstehen, muss schon heftig in sie investiert werden. Die US-amerikanische Pharmaindustrie hat 2004 allein 57,5 Milliarden Dollar für Werbung aufgewendet - und nur 31,5 Milliarden Dollar für die Forschung. Nichts deutet aktuell darauf hin, dass diese Strategie in anderen Industriestaaten grundsätzlich anders aussähe.

In Bezug auf Deutschland hält das Informationsforum "arznei-telegramm" fest: "Üblicherweise sind die von den Pharma-Unternehmen herausgegebenen Angaben über ihre Werbeausgaben drastisch geschönt." Kritiker sprechen vom großen Pharma-Bluff, der in der Schaffung von Konsumentenbedürfnissen besteht. Es ist ein mieser Deal mit Ängsten, bei dem die "wunscherfüllende Medizin" immer aggressiver angeboten wird, um bisher unbekannte Krankheiten und einen Markt auszumachen.

Eine intensive Verquickung von Sport und Gesellschaft im Sinne eines neuen Körperkonzepts? Unter diesem Blickwinkel war die diesjährige Tour de France nicht viel mehr als der Opferpfand, bei dem der Blick des Fans auf den ritualisierten Dopingfall gelenkt wurde. Chemie kam in diesem Szenario als eine Art Naturgewalt daher, gehörte schlichtweg dazu. Wer erwischt wurde, hatte Pech, war selbst dran schuld und konnte brutal skandalisiert werden.

Und Peking 2008? Wofür steht der chemische Irrsinn? Von den "saubersten Spielen, die es je gegeben hat", wie die Organisatoren sie ausriefen, ist schon längst keine Rede mehr. Jacques Rogge, Chef des Internationalen Olympischen Komitees, sprach von 40 zu erwartenden Dopingfällen. Wie er auf die Zahl kommt, ist völlig schleierhaft. Gemessen an der Halbwertszeit seiner Sätze zum olympischen Großereignis hätte er ebenso gut auch von 900 Fällen sprechen können. Niemand weiß so gut wie der selbsternannte Naivling, dass all seine Prognosen bei den Pekinger Spielen längst jeglichen realen Boden verloren haben.

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2 Kommentare

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  • RK
    Rene Kriest

    „Die Weichen zum manipulierten und kontrollierten Körper sind gestellt“

     

    Frau Geipel, Sie sehen nicht so aus, als verzichteten sie auf Schminke und dergleichen. Gehen sie eigentlich zum Arzt? Haben sie jemals eine Impfung erhalten, Antibiotika genutzt oder beim Zahnarzt um Narkose gebeten?

     

    Was ist an ihrem Bild im Wortsinne falsch: liegt der Fehler bei mir, daß ich ihre kunstvolle optische Illusion ihrer Körperhülle qua Pharmaindustrieprodukte als Manipulation begreife?

     

    Ihr Streiten wider Doping in Ehren, doch führt bewußte Einseitigkeit zu teils surrealen Ergebnissen, zumal sie auch eklatante handwerkliche Mängel vorweisen: „Wachstumshormone“. Es gibt keine Wachstumshormone, sondern lediglich das Wachstumshormon und zwar im Singular: http://en.wikipedia.org/wiki/Human_growth_hormone

     

    Was sich also, engl., hormone liest, wird im Deutschen mit „Hormon“ übersetzt.

     

    Ähnliches gilt auch für „die Substanz Ritalin“. Ritalin ist keine Substanz, sondern ein Markenname, der sich vom Wirkstoff namens Methylphenidat unterscheidet – so viel Zeit muß sein. Entwickelt wurde dieser auch nicht zur Behandlung von ADHS, sondern erwies sich als Zufallsprodukt, welches sich erst später als geeignetes Mittel zur Behandlung von ADD/ADS erwies, worunter die Variante Hyperaktivität auch fallen kann, nicht aber muß.

     

    Zugelassen ist Methylphenidat überdies zur Behandlung der Narkolepsie, was mit ADD/ADS nichts zu tun hat. Wenn also die Nutzung von Methylphenidat zunimmt, beruht dies auch auf diesem Umstande.

     

    Abseits dieser wenigen fachlichen Mängel war der Artikel aber ok. ;)

  • K
    klaus

    Als ADHS-Betroffener wird mir Ritalin verschrieben. Ich denke, ohne diese Substanz hätte ich meinem Defizit mein Leben niemals derart meistern können. Stellen sie mich bitte nicht in eine Ecke mit Doping->>Sündern