Kommentar Olympia: Warum gucken wir das bloß?
Ja, es gibt wichtigeres auf der Welt. Trotzdem gucken wir vereint abseitige Sportarten, jubeln bei rhythmischer Sportgymnastik und weinen beim Speervorkampf.
E s ist fast ein Naturgesetz der Fernsehforschung: Wenn Olympische Spiele sind, versammelt sich das Publikum vor Bildschirmen, Computerscreens oder gar zum Public Viewing. So auch bei den Übertragungen aus London. Besonders ARD und ZDF übertreffen mit ihrer Rund-um-die-Uhr-Versorgung alle anderen, nichtsportlichen Programme.
Auch Eurosport, mit wesentlich geringerer Fokussiertheit auf deutsche Medaillenkandidaten, weiß um die Popularität dieser gut zweiwöchigen Show: Olympisches ist attraktiver als beinahe alles andere. Und das nicht nur in Deutschland, sondern überall in der Welt, wo Olympisches im Programm angeboten – „the games“ ziehen!
Und das betrifft auch das aktuelle und neue Angebot von ARD und ZDF, etliche Übertragungen von Sportarten, die gerade nicht in die Hauptsendeschienen passen, via Livestream online zu senden: Auch hier sprechen die Zahlen für ein nachgerade leidenschaftliches Interesse an Wettkämpfen. Ob nun Vorrundenritte der Dressur, Wildwasserkanu im Finale, junge dünne Frauen oder krass muskulierte Männer an Ringen, Barren und am Boden, Marathonläufe oder artistisch trainierte Halbnackte, die sich von Türmen und Brettern ins Wasser stürzen: Man guckt zu.
ist Redakteur für besondere Aufgaben und Leiter des Olympiateams der taz.
Von Land zu Land verschieden gilt die Zuschauerobsession anderen Sportarten. In Kenia hat das leichtathletische Laufen mehr Zuspruch als das aus dortiger Sicht befremdliche Wasserball der Frauen. Oder das Schwimmen in Australien, das dort fast religiöse Verehrung genießt, rhythmische Sportgymnastik hingegen nicht – was sich wiederum aus bulgarischer Sicht anders herum verhält. Obwohl: Die möglicherweise in Europa existierende Idee, in Kenia würden nur LäuferInnen 'geboren', wurden schon beim Speervorkampf eines Anderen belehrt: ein Athlet aus der Vorstadt von Nairobi hat es sicher ins Finale geschafft. Dass er seine Werferausbildung in Finnland erhielt, spricht für ihn – und für die Globalisierung im Sportlichen.
Alle können irgendwie gewinnen
Wie man es dreht und wendet: Olympische Spiele sind eine Art televisionäre Gesamt-NGO, die mehr Menschen interessiert bindet als andere Entertainment- und Infoformate sonst. Wenn man sie nicht hätte, müsste man sie, als Menschen, die das gute Leben global im Sinn haben, fordern. Nichts scheint friedlicher zu stimmen als ein universell organisierter Wettkampf, bei dem potentiell alle irgendwie gewinnen können. Oder verlieren: tragisch, erwartbar oder überraschend.
Das, präzise betrachtet, macht generell den Reiz von Sportübertragungen aus, wenn sie live gesendet werden: Dass man nicht weiß, wie es endet. Dass einE AußenseiterIn eineN FavoritIn bezwingen kann. Die Differenz zum allgemeinen Leben ist offenkundig: mehr oder weniger routiniert. Olympische Spiele, so gesehen, sind die Differenz zu Nachrichten aus, etwa aktuell, Syrien. Politisch sich verstehende Menschen würden natürlich nie sagen, dass sie diese syrische Dauermedienberieselung weder aushalten können noch wollen.
Olympische Spiele bieten das Gegenprogramm: Wettkämpfe ohne Landminen, Artilleriebeschuss oder Bombenhagel. In London 2012 – wie in vier Jahren in Rio den Janeiro – scheint, typisch Olympia, eine Utopie auf. Rivalität aufs ausschließlich Sportliche. Das ist es, was dem Publikum, uns, bei den Übertragungen im Fernsehen Freude macht.
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