Kommentar Offshore-Leaks: Die Lohnschreiber des Kapitalismus
Viele deutsche Journalisten trauen den Menschen keinen verantwortungsvollen Umgang mit Enthüllungs-Webseiten wie Offshore-Leaks zu. Wie falsch!
D er Konflikt um die Datenbank „Offshore-Leaks“, in der Namen und Daten von mehr als 100.000 Treuhandgesellschaften und Firmen in Steueroasen ins Internet gestellt wurden, ist anschaulich und verrät etwas über nationale Anstandsregeln und soziale Normen.
Ein internationales Journalistenkonsortium hat einen Teil der Rohdaten veröffentlicht, der bislang nur JournalistInnen zur Einsicht vorbehalten war. Das Auffällige: Während die Zeitung La Nacion in Costa Rica gleich mehrere JournalistInnen freistellte, um die Datenbank zu erstellen, reagieren deutsche KollegInnen sehr zurückhaltend auf die Veröffentlichung. Sie fürchten Vorverurteilungen und halten an ihrer Rolle als Gatekeeper fest. Wie falsch.
Ist es zu verantworten, dass einer breiten Öffentlichkeit Rohdaten „einfach so“ massenhaft zur Verfügung gestellt werden? Schon die Frage ist arrogant. Sie beinhaltet, dass eine unmittelbare Öffentlichkeit etwas strukturell Minderbemitteltes sein muss.
ist taz-Redakteur für Politik von unten und twittert unter @martinkaul.
Solche Informationen, das unterstellt diese Frage auch, sollten weiterhin versierten Wirtschaftsjournalisten vorbehalten bleiben. Tatsache: Davon gibt es in Deutschland einige. Aber die Mehrheit bilden nun doch jene, die in der Vergangenheit mit ihrem engen Fokus auf DAX-Werte und Unternehmensbilanzen den kritischen Blick für Gesamtzusammenhänge allzu oft verloren haben.
Die Offshore-Daten haben im Verhältnis zu ihrem Umfang nur begrenzt skandalöse Einzelfälle offenlegen können. Dass nun auch die Öffentlichkeit mal reinschauen darf, ist eher eine Verlegenheitslösung als ein mutiges Zeichen.
Die Selbstverständlichkeit, mit der in anderen Ländern die Veröffentlichung mutmaßlicher Profiteure dieser strukturellen Schattenwirtschaft begrüßt wird, ist vorbildlich. Sollen wir hierzulande wirklich darauf vertrauen, dass es – um ein scharfes Bild zu benutzen – die Lohnschreiber des Kapitalismus sind, die diesen für uns begreifen sollen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus