Kommentar OECD-Migranten-Studie: Gegen die Wand
Das Problem liegt nicht nur an der mangelnden Qualifikation. Selbst wenn Migranten Abitur haben und studieren, werden sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt benachteiligt.
D ass Kinder von Einwanderern in Deutschland oft ohne Abschluss auf der Straße landen, ist nicht neu. Doppelt so oft wie ihre deutschstämmigen Altersgenossen stehen junge Migranten ohne Ausbildung oder Abitur da, hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) jetzt berechnet.
Daniel Bax ist Meinungsredakteur der taz.
Dass sie deshalb auf dem Arbeitsmarkt schlechte Chancen haben, ist kein Geheimnis, das erst ein Thilo Sarrazin hätte enthüllen müssen. Seine Schelte über "fehlenden Integrationswillen" war trotzdem falsch. Immerhin bringt es die viel gescholtene "Parallelgesellschaft" mit sich, dass viele Einwandererkinder trotz fehlender Abschlüsse überhaupt einen Job finden - und sei es im Taxibetrieb des Schwagers oder beim Onkel im Gemüseladen.
Das Problem liegt aber nicht nur in mangelnder Qualifikation. Denn selbst wenn sie Abitur haben und studieren, sind Kinder von Einwandern auf dem deutschen Arbeitsmarkt benachteiligt, stellten die OECD-Forscher überrascht fest. Mit anderen Worten: Türkischstämmige Schüler haben es schwerer, an eine Lehrstelle zu kommen, als ihre deutschen Freunde. Abiturienten mit Migrationshintergrund finden seltener einen Ausbildungsplatz als Schon-immer-Deutsche. Und selbst Uni-Absolventen stoßen an Grenzen, wenn sie Öztürk oder Kandemir heißen, statt den Nachnamen Müller oder Schulze zu tragen.
Bildungserfolge von Migranten würden in Deutschland wohl "nicht ausreichend honoriert", formulieren die OECD-Experten höflich - was nichts anderes bedeutet, als dass viele Einwanderkinder bei der Stellensuche gegen eine unsichtbare Wand aus Vorurteilen fahren. Kein Wunder, dass sich viele türkischstämmige Akademiker nach dem Studium lieber in der Türkei nach einem Job umsehen als in dem Land, in dem sie geboren und aufgewachsen sind.
Deutschland hätte die Möglichkeit, hier gegenzusteuern. Nicht nur im Bildungssystem, um die Integration schon in den Kitas und Grundschulen zu fördern; gerade die öffentliche Verwaltung muss endlich mit gutem Beispiel vorangehen. Nirgendwo in Europa finden sich auf den Ämtern so wenig Mitarbeiter, die einen Migrationshintergrund aufweisen, wie hierzulande. Die neue Bundesregierung könnte da ein prominentes Signal setzen - etwa indem sie erstmals einen Minister mit Migrationshintergrund in ihre Reihen beruft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers