Kommentar Niedersachsenwahl: Der Zeitgeist steht knapp auf links

Rot-Grün hat in Niedersachsen gewonnen – trotz der lauen Performance von der SPD. Und auch trotz Steinbrück. Nun muss ein Lagerwahlkampf kommen.

Es ist nicht einfach, den Grund für diesen hauchdünnen und wichtigen Sieg für Rot-Grün auszumachen. Peer Steinbrück, der sich beim Publikum energisch unbeliebt gemacht hat, war es gewiss nicht. Der künftige Ministerpräsident Stephan Weil ist ein blasser Technokrat, der vielleicht jene Sachlichkeit verkörpert, die momentan eher gefragt ist als Polterei.

Es scheint aber alles in allem ein Sieg gegen allerlei Widrigkeiten zu sein. Ein fesselndes landespolitisches Thema, das die SPD-Klientel mobilisiert hätte, nämlich fehlte. Sogar die Landesvaterattitüde des netten, beliebten David McAllister half der CDU am Ende nicht. Rot-Grün hat gewonnen, ohne zwingenden, konkreten Grund. Es gibt einen Wunsch nach Wechsel. Der Zeitgeist ist links.

Natürlich ist diese Wahl keine Blaupause für die Bundestagswahl. Sie hilft Rot-Grün auch nicht direkt. Und sie erlöst schon gar nicht den sozialdemokratischen Problem-Peer. Für Steinbrück, der die SPD-Basis verstörte, ohne wie erhofft im konservativen-liberalen Lager Sympathien zu gewinnen, ist er die dritte Chance für einen Neustart. Der Sieg in Hannover verschafft ihm eine Atempause, mehr nicht.

Doch wenn die SPD klug ist, dann kann sie nun mit dem Lagerwahlkampf, von dem sie so gern redet, ernst machen. Bislang zündete die rot-grüne Doppelstrategie gegen die Kanzlerin ja nicht: In der Kernfrage Eurokrise stimmen SPD und Grüne als loyale Opposition im Zweifel mit Merkel – um danach donnernde oppositionelle Fensterreden zu halten.

Nun aber haben SPD und Grünen einen Werkzeugkasten an der Hand, mit dem sie die Kanzlerin demontieren können. Rot-Grün verfügt, inklusive der rot-roten Regierung in Brandenburg, im Bundesrat über eine Zwei-Drittel Mehrheit. Damit können sie die Bundesregierung in den nächsten acht Monaten vor sich hertreiben. So – und wohl nur so – können Steinbrück und Trittin die Kluft zwischen bellender Oppositionsrhetorik und braver Gefolgschaft zu Merkels Europolitik überwinden. Wenn die SPD sich dies traut, ist im Herbst viel möglich. Trotz Steinbrück.

Seit Niedersachsen sind auch die Lagergrenzen klipp und klar befestigt. Das Ergebnis der Liberalen ist sensationell, aber nur geliehen. Die FDP hat es dank faktischer Leihstimmen der CDU ins Parlament geschafft. Sie ist damit abhängig von der Union - dies kann sich bei der Bundestagswahl wiederholen. Die Liberalen schrumpfen so zur Funktionspartei und zu Merkels Machtreserve. Die Liberalen sind ein Scheinriese.

Kurzum: Diese FDP kann das Lager nicht wechseln. Alle Spekulationen über eine Ampel-Koalition sind seit Hannover zu begraben. Mit Pro-Merkel-Stimmen Merkel aus dem Amt tragen – solche Gelenkigkeit ist noch nicht mal der FDP zutrauen. Bei den Grünen wird spiegelverkehrt die halb verdruckst geführte Debatte über Schwarz-Grün nun versickern.

Der Sieg von Rot-Grün in Hannover macht einen Lagerwahlkampf im Herbst wahrscheinlicher. Das ist gut für Bürger, die sich entscheiden können. Und gut für die Demokratie, die Alternativen braucht.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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