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Kommentar Neuwahlen in NRWNicht alles ist Dämlichkeit

Kommentar von Tom Strohschneider

Die Linke hat sich selbst aus dem NRW-Landtag manövriert. Doch ihr das Beharren auf eine soziale Politik vorzuwerfen, ist falsch – früher tat das auch die SPD.

B ei der Abrechnung des politischen Erdrutschs von Düsseldorf wird jetzt nicht nur den Liberalen Dämlichkeit vorgeworfen, sondern auch der Linken. Im Lichte eigener Umfrageschwäche trotz des Wissens um die Konsequenzen einen rot-grünen Minderheitshaushalt abgelehnt zu haben – so etwas sei dumm, jedenfalls aber Sektiererei. Da könne sich niemand beschweren, wenn er bei den Neuwahlen im Mai aus dem Landtag fliegt.

Nun muss man der Linken nicht unbedingt bescheinigen, in den 608 Tagen der rot-grünen Minderheitsregierung alles richtig gemacht zu haben. Erfolgreich kann sich nicht nennen, wer in den Umfragen bei vier Prozent steht. Dass die Partei jedoch, oft als Hort der Fundis in der Linken tituliert, gegen alle Vernunft ihre parlamentarische Existenz an Rhein und Ruhr riskiert hat, ist genauso falsch.

Das Beispiel des Haushaltes 2011 hat gezeigt, dass eine Linke, mit der ernsthaft verhandelt und der etwas angeboten wird, auch zu Kompromissen bereit ist. Das war diesmal nicht der Fall. Hätte die Linke den Etat 2012 bloß deshalb mitgetragen, um risikoreiche Neuwahlen zu vermeiden, hätte man ihr das als opportunistischen Umgang mit den eigenen Zielen vorgeworfen.

Bild: privat
TOM STROHSCHNEIDER

ist Meinungsredakteur der taz.

Die Partei ist zudem damit konfrontiert, dass jede Ablehnung von Kürzungen im Zeitalter der Schuldenbremse in der Öffentlichkeit bereits zu einer Forderung außerhalb des vertretbaren politischen Kanons erklärt wird – was man nicht ihr, sondern jenen vorwerfen sollte, die dieses erneuerte TINA-Prinzip der Alternativlosigkeit zur allgemeinen Richtschnur machen.

Soziale Gestaltung braucht Investitionen

In einer zentralen Frage, auch das wird gern vergessen, steht die Linke heute gar nicht so weit entfernt von jenem politischen Ort, den zu Beginn des rot-grünen Experiments die frühere Schuldenbremsen-Kritikerin Hannelore Kraft eingenommen hatte: soziale Gestaltung der Gesellschaft braucht Investitionen, Kredite sind dabei kein Teufelszeug.

Und schließlich: Dass der nordrhein-westfälische Landesverband der Linken Glaubwürdigkeit aus dem Beharren auf Kernforderungen wie dem Sozialticket ziehen wollte, kann nur der fundamentalistisch nennen, der genug Geld hat, um auf den öffentlichen Nahverkehr zu verzichten.

Dennoch wird sich jetzt auch die Linkspartei viele Fragen stellen müssen. Trägt eine Strategie noch, die rhetorisch auf Konflikt mit SPD und Grünen setzt, praktisch aber versucht, die Möglichkeiten der Kooperation mit beiden auszuschöpfen – während diese das immer weniger wollen?

Welche grundsätzlichen Grenzen zeigt das Scheitern des oft links gestützten Minderheits-Experiments einer Partei auf, die für sich in Anspruch nimmt, links von SPD und Grünen den Hebel realer Veränderungen anzusetzen? Und was heißt das für eine Linke, die in den Ländern und im Bund so verschieden geprägt ist - die aber zuletzt weder als Volkspartei in rot-roten Regierungsprojekten noch als politische Minderheit auf striktem Oppositionskurs Land gewinnen konnte?

Kluge, vor allem auch neue Antworten darauf zu finden, das wird zuallererst für die Linke im Westen schon bald zur Lebensversicherung. Zum Aufstieg der Piraten und dem Stocken des eigenen Parteiaufbaus wird dort als Problem immer deutlicher, dass sich gerade (Protest-)Wähler der Linken fragen, was ihnen das Kreuzchen bei der Partei wirklich bringt.

Die vorgezogenen Urnengänge im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen werden zur Nagelprobe für die „gesamtdeutsche Linke“. Ziemlich genau fünf Jahre nach ihrer Gründung wird dann bald auch in der Partei abgerechnet: bei den Vorstandswahlen in Göttingen.

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16 Kommentare

 / 
  • SF
    Sissy Fuß

    Sag mal, Pippi, lesen gehört nicht so zu Deinen Stärken, ne?

  • T
    Turrican4D

    @Teermaschine

    Na, da haben Sie ja brav die TINA heruntergebetet.

     

    Wie kann man allen Ernstes an eine Eschuldenbremse glauben??! Eine Schuldenbremse erhöht die Schulden! Nur Investitionen generieren Steuereinnahmen.

     

    Griechenland ist aufgrund der Banken- und Finanzkrise aus der Bahn geraten. Und in die Misere kamen und kommen sie durch den seitens unserer inkompetenten Kanzlerin aufgezwungenen volkswirtschaftlichen Geisterfahrerkurs.

     

    P.S.: Und hören Sie mit dem Märchen "Denn den Preis zahlen zukünftige Generationen." So ein Unsinn!

  • R
    Richard

    Als langjähriges (immer noch) SPD-Mitglied werde ich dann im Mai das erste Mal die Linke wählen.

  • M
    Moebius

    @Teermaschine:

    Griechenland zeigt vor allem, wie ein Staat vor die Hunde geht, wenn er zu viel Steuerhinterziehung durchgehen lässt und sich dann gemäß den Dogmen der heute dominierenden neoklassischen Ökonomen verhält und der Aufforderung zum bedingungslosen Sparen folgt.

    Die Schuldenbremse ist nichts weiter als der gelungene Versuch, die Verantwortung für das Staatsdefizit einseitig auf der Ausgabenseite zu verorten, damit niemand mehr über die aberwitzigen Senkungen der Steuern auf Kapitalerträge, Vermögen und Unternehmensgewinne redet. Und leider funktioniert das auch.

     

    @Tom Strohscneider: Die Linke ist zwischen Hammer und Amboss gefangen und kann anscheinend kaum etwas richtig machen. Die meisten Presseorgane bezeichnen sie als Fundamentalisten und Spinner, wenn sie Positionen links der SPD vertreten (und wenn sie es nicht tun, sind die Wähler zurecht enttäuscht), rot/grün versucht, die "Schmuddelkinder" auszusperren und scheint damit auch noch Erfolg zu haben. Nicht einmal die Grünen sind in ihrer Anfangszeit so beschimpft worden, obwohl manche Mitglieder die Legalisierung von Pädosexualität gefordert haben.

  • Y
    Yoyo

    "...der Linken tituliert, gegen alle Vernunft ihre parlamentarische Existenz an Rhein und Ruhr riskiert hat, ist genauso falsch."

     

    Vom Tenor des Artikels her würde ich vermuten dass es heißen müsste: "...riskiert habe, ist genauso falsch."

    Auch das ist noch missverständlich. Vielleicht besser: "ist ein genauso falscher Satz." ???

     

    Guter Artikel. Ich lese daraus nicht, dass die Linke an allem Schuld ist.

  • M
    Matze38

    von Teermaschine:

     

    das man auf die schulden achten sollte ist richtig, aber man sollte auch schauen, wo man spart. das imemr dei kleinen leute dafür zahlen müssen ist nicht richtig und fair. weil die können nix dafür das jahrelang falsch politik betrieben wurde.

    warum stiegen denn die schulden so drastisch ?

     

    weil der weg der sozialen marktwirtschaft verlassen wurde. steuersätze für reiche und unternehmen gingen runter, die dem staate heute fehlen, milliarden wurden für bankenrettungen ausgegeben. wenn das alles ludwig ehrhard heute sehen würde, der würde einen schock bekommen und wenn er versuchen würde diese heute einzuführen, würde man ihn als kommunist bezeichnen. die linke will diese fehlentwicklung korrigieren und wieder zurück zu einer solidarischen gesellschaft, aber das wollen dei neoliberalen natürlich nicht, deswegen ist es auch einfach sie als kommunisten zu beschimpfen.

    die schuldenbremse ist so, wie sie jetzt angewendet wird falsch.aber das werden wir alle in den nächsten jahren spüren und dann wird man wieder sagen, wie so oft, die linke hatte recht !

  • PL
    Pippi Langstrumpf

    Herr Strohschneider hat die Lösung aller Probleme: Die Linke ist an allem Schuld!

     

    Toll! Das Leben kann so einfach sein. :-)

     

    2 mal 3 macht 4 - Widdewiddewitt und Drei macht Neune! Ich mach' mir die Welt Widdewidde wie sie mir gefällt ....

     

    Pippi Langstrumpf

  • M
    Marvin

    Für die definitiv bitterste Niederlage für ganz Nordrhein-Westfalen halte ich den so genannten "Schulkonsens", geschlossen zwischen CDU, SPD & Grünen mit denen Rot-Grün ihre im Wahlkampf NRW-weit plakatierte Forderung "Eine Schule für alle" glasklar verraten haben.

     

    Wichtige rot-grüne Projekte wie die Abschaffung von Studiengebühren & Kopfnoten und die Einführung der Drittelparität in der Schulkonferenz sind nicht nur mit Hilfe der Stimmen der Linken, sondern auch auf Druck der Linken zustande gekommen. Rot-grün hatte zum Beispiel durchaus vor, die Abschaffung der Studiengebühren noch ein wenig zu verschieben, wobei Die Linke jederzeit klar gesagt hat "sofort abschaffen".

     

    Das Sozialticket war auch wieder so 'ne Geschichte.

    Rot-Grün hat einfach nen Teil seines Programms umgesetzt, und nen anderen Teil davon verraten.

     

    Wer möchte, dass das was SPD & Grüne im Wahlkampf plakatieren, nach der Wahl noch eine Rolle spielt, muss Die Linke wählen. Leider.

  • C
    Calle

    Ach nee - Asche auf das Haupt der Linken ???

     

    Wer wissendlich der Ankündigung von CDU und FDP, wegen erneuter Neuverschuldung den Rot-Grünen Haushaltsentwurf kippen will dennoch eine Forderung stellt, doch wenigstens einen zusätzlichen Betrag - genau die Hälfte der von CDU und FDP beanstandeten Summe - doch zusätzlich aufzunehmen, ansonsten würde man gegen den Entwurf stimmen und noch an weiteren Stellen herumeiert, braucht sich nicht zu wundern wenn er nicht ernst genommen wird als Partner auf Augenhöhe akzeptiert zu werden.

    Und wenn dann noch so Aussprüche fallen wie "wir wollen ja gar nicht Regierungsverantwortung übernehmen - wir fühlen uns auch in der Opposition wohl" braucht sich nicht zu wundern wenn er die Quittung bekommt und Links liegen gelassen wird.

    Zu mal die konservativen Parteien nicht mit der Herkunft (DKP) der meisten Linken-Abgeordneten klar kommt.

    Also hat die Taktiererei, manche nennen so etwas auch Politikroulett, wie sie die FDP und die Linken veranstalten wollte dieses mal nicht geklappt.

    SPD und Grüne haben dieses Trauerspiel offenbar durchschaut und haben die Reißleine gezogen.

     

    Eben dumm gelaufen, aber so sind sie nun einmal.

  • A
    Anarcho

    Na toll! Durch die Dummheit der SPD und der Grünen wird NRW wohl eine CDU geführte Regierung bekommen, vermutlich eine große Koalition wie in Berlin! Und die Linke trägt dafür mitschuld! Super! Zur Strafe fliegen die genauso raus, wie die FDP! Was ist dann dadurch gewonnen?

  • HT
    Hank the Knife

    Bitte auch dies zur Kenntnis nehmen: Die Abgeordneten der Linken haben als Einzige gegen die üppig-dreiste Diätenerhöhung von 500,-€ pro Monat/Abgeordneten gestimmt, die Rotgrünschwarzgelb in trauter Einigkeit durchgewunken haben. Dabei wurde peinlichst darauf geachtet, dass das Thema in den lokalen Medien nicht zu groß aufgemacht wurde. Die Sozen im WDR Vorstand sind brav eingeknickt, genau wie Redaktionen der bürgerlichen Presse.

    Ich weiß, wo ich nicht nur mein Kreuz mache, sondern mich auch engagiere.

  • P
    pekerst

    "Zum Aufstieg der Piraten und dem Stocken des eigenen Parteiaufbaus..." - "Zum dem Stocken"?

  • I
    I.Q

    man braucht Spd und Grüne ja nicht wählen. Was die fertig bringen ohne linkes Korrektiv ist doch bekannt.

  • T
    Teermaschine

    Die griechische Misere zeigt auf, wohin eine ausufernde Staatsverschuldung führt. Und die Schuldenbremse ist nicht viel mehr als der verzweifelte Versuch, der Politik wieder den Rahmen zu geben, in dem sich staatliche Ausgaben bewegen dürfen.

    Denn den Preis für diese Schuldenpolitik zahlen zukünftige Generationen. In diesem Land vielleicht erst die nächste oder übernächste. In Griechenland, Portugal und Spanien sind sie da schon weiter. Die Zahlen schon heute mit einer massenhaften Jugendarbeitslosigkeit, Sozialabbau und Perspektivlosigkeit.

  • Z
    Zunder

    Außer der Linken reiten bereits alle das Neo-liberalistische Pferd. Alle Politiker die sich bei der Wirtschaft ihre Pfründe sichern, wollen die auch behalten.Man darf dem kleinen Mann nicht zu viel zugestehen ,sonst hat man in einer 'Lobbykratie' verschissen. Und dass die Linke nicht eingeknickt ist, zeugt von Rückgrat. Nur schade, das dies beim Volk so wenig Anerkennung findet.Wenn der Sozialabbau weiter fortschreitet, wird man die Linken vermissen.Die FDP braucht keiner-außer- vielleicht Zahnärzten und Hoteliers. Die FDP setzt sich nur für Leute ein, die sich eigentlich schon selbst geholfen haben. Den Plutokraten geht es nämlich am besten, wenn es genug Verlierer gibt-dadurch wachsen die. Ohne Verlierer kann dieses Heuchler-System gar nicht 'wachsen'. Jedenfalls, lieber H.Kraft, als N.Röttgen. Röttgen als Märchen-Onkel wäre Okay -aber als Ministerpräsident...?

  • C
    Carsten

    Einfach mal die Parteiprogramme lesen und vergleichen.Im I-Net so einfach.Damit ist der Artikel überflüssig.Personen,Namen und Theateraufführungen sind austauschbar.Für was die Partei steht,sollte und muß die Grundlage einer parlamentarische Demokratie sein.Daran sollte sich auch mal die Taz erinnern und Grundlage ihrer Artikel sein.

     

    Mfg