Kommentar Neuwahl in Großbritannien: Alles neu macht die May
Großbritannien könnte ein bisschen Ruhe gut vertragen. Trotzdem ist Theresa Mays Entscheidung für eine Neuwahl eine gute.
M an kann es den Briten nicht verdenken, dass manche auf Theresa Mays Ankündigung vorgezogener Neuwahlen mit Entsetzen reagieren. Nach dem Schottland-Referendum von 2014, den Parlamentswahlen von 2015 und dem Brexit-Referendum von 2016 wäre eigentlich ein bisschen Ruhe angebracht. Und dass die Premierministerin es mit dem Wunsch nach weniger politischer Polarisierung begründet, dass sie das Land in einen neuen Wahlkampf stürzt, ist eine Herausforderung an das logische Denken.
Nichtsdestotrotz sind die Neuwahlen in Großbritannien zu begrüßen. Bei den letzten Wahlen 2015 hieß der Premierminister David Cameron und war für den Verbleib der Briten in der EU. Heute ist alles anders. Theresa May betreibt den Brexit in getreuer Erfüllung des Referendums – nach Ansicht mancher in härterer Form, als es die Volksabstimmung legitimiert hat.
Die Vorwürfe, sie habe für ihren Kurs kein demokratisches Mandat, nehmen zu. Der Anwurf ihrer schottischen Amtskollegin Nicola Sturgeon, May sei nicht vom Volk gewählt und habe der wiederum vom Volk gewählten Sturgeon nichts zu sagen, dürfte die Premierministerin tief getroffen haben. Sie reagiert nun mit einer Klarheit, wie man sie an britischen Regierungschefs von Thatcher über Blair bis Cameron schätzen gelernt hat: Sie nimmt die Herausforderung an und sucht die Entscheidung.
Nun gibt es also die Gelegenheit, auf die die Brexit-Gegner gewartet haben: Sie können May abstrafen und einem EU-freundlicheren Kurs eine parlamentarische Mehrheit bescheren. Die Umfragen sprechen zwar nicht dafür, aber es ist in jedem Fall gut, dass Großbritannien jetzt die Gelegenheit bekommt, erneut an der Wahlurne seine Meinung über den Brexit zu äußern.
Wahrscheinlich ist, dass Mays Kurs bestätigt wird. Denn die Premierministerin kann einen Vorteil ausspielen: Für jeden ihrer Gegner geht es um etwas anderes. Die Verlierer von 2016 nutzen die Wahl als zweites Brexit-Referendum, die Verlierer von 2015 als zweite Parlamentswahl und die von 2014 als zweite Schottland-Volksabstimmung. Jede Oppositionskraft wird in einer anderen Ecke ihren Wahlkampf führen. Und darüber thront eine unerschütterliche Theresa May – als einzige Politikerin mit Weitblick, die das Land zusammenhält. Wenn das gelingt, ist ihr der Wahlsieg sicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind