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Kommentar Neues JahrzehntUnd alle spielen mit

Ambros Waibel
Kommentar von Ambros Waibel

Zu denen, die in Sack-und-Asche gehen und den Veganismus per Verordnung durchsetzen wollen, will man nun keinesfalls gehören. Es gibt ja auch keinen Grund zu verzweifeln.

Die Armen", schreibt der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk kürzlich im Guardian, "die Schutzlosen Asiens und Afrikas, die nach neuen Orten suchen, um zu leben und zu arbeiten, können nicht auf ewig von Europa ferngehalten werden. Höhere Mauern, härtere Regeln für Visa und mehr Kontrollen der Seegrenzen werden den Tag der Abrechnung nur hinauszuzögern."

Das klingt nach Krieg. Aber das europäische Grenz- und Flüchtlingsregime im Mittelmeer ist martialisch. Deswegen die Verantwortung für die Verbrechen am Rand der Festung Europa schlicht der Politik zuschieben, ist aber zu einfach. Die organisierte Kriminalität ist auch deswegen zu einem globalen Player geworden, weil ganz normale Westeuropäer einen immer größeren Teil ihrer Freizeit und ihres Geldes dazu verwenden, mit (Zwangs)prostituierten zu schlafen, sich zu Schleuderpreisen auf den Markt geworfenes Koks reinzuziehen und die unter teuflischen Arbeitsbedingungen hergestellten elektronischen Spielzeuge zu kaufen.

Aber wenn die Armen wie die Zombies durch die europäischen Gassen laufen, dann wird einen der Mitgliedsausweis der lokalen Biokooperative nicht retten.

Bild: alexander janetzko

Ambros Waibel ist Meinungsredakteur der taz.

Das wiederum klingt natürlich unerträglich pathetisch. Und zu der Fraktion, die unter Besserwerden In-Sack-und-Asche-Gehen versteht und den Veganismus per Verordnung durchsetzen möchte, will man nun keinesfalls gehören. Es gibt ja auch keinen Grund zu verzweifeln.

Nie in der deutschen Geschichte waren die Bedingungen für den Einzelnen, seine ganz individuelle Vorstellung eines selbstbestimmten Lebens zu verwirklichen, so gut wie heute. Denn seit 60 beziehungsweise seit 20 Jahren leben wir in einem demokratischen Land - wer das lächerlich findet, unterhalte sich mit den reflektierenden Angehörigen der Generation, die noch in der Hitlerjugend fertiggemacht wurde.

Freiheit ist eine schöne Sache - wie Atheismus, wie Sexualität jenseits eines biologischen Determinismus, wie gelegentliche Verschwendung und Erfahrungen mit Drogen. Trotzdem bleibt der Zweifel.

Im nächsten Jahrzehnt wird die Frage auf eine Entscheidung zusteuern, ob wir weiter frei sein dürfen. Was nun mal bedeutet, dass alle - alle! - mitspielen dürfen. Wer lieber "Schafft sich ab, schafft sich ab" vor sich hinbrabbeln oder sich in die Luft sprengen will, der soll bitte, bitte noch ein bisschen mit sich selbst spielen und die anderen in Ruhe lassen. Bis auch er und sie wieder eine Idee haben, wie es im Leben weitergehen soll.

Kurz und notwendigerweise abstrakt gesagt: Es wäre schön, wenn uns einfiele, wie wir das nächste Jahrzehnt zu einem der Öffnung machen könnten - die Eso-Egomanen und die Katholiken müssten sich davon doch auch angesprochen fühlen.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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2 Kommentare

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  • M
    madove

    Genau auch in dieser Versuchsform gibt der Kommentar umfassend meine Weltsicht wieder, mit einem Hauch mehr Optimismus, als ich gelegentlich aufbringe. Dank dafür.

  • SS
    S. Schuster

    Hm, ich weiß nicht genau, wie ich diesen Kommentar nehmen soll. Es fehlt mir eine Linie. Der Autor wirkt bemüht, aber auch sehr angestrengt. Es bleibt für mich der Eindruck eines Versuches... Nichts für ungut. Guten Rutsch!