Kommentar Netzsperren: Langsamer ans Ziel
Auch die Bundesregierung will nun Kinderporno-Websites löschen statt sperren. Vielleicht beginnt die Debatte über einen Einstieg in eine Netzsperr-Infrastruktur jetzt erst richtig.
Löschen statt Sperren": Den Slogan, mit dem Netzaktivisten im vergangenen Jahr gegen Stoppschilder für Kinderpornoseiten mobilisierten, macht sich die Bundesregierung nun selbst zu eigen.
CDU-Innenminister de Maizière kommt das gelegen. Mit der FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die sich an seine Entscheidung noch flugs angehängt hat, bildet er unerwartet eine einsame Bastion des Koalitionsfriedens. Dabei steht die große Bedeutung, die dem Thema unter Medienschaffenden und Bloggern beigemessen wurde, in keinem Verhältnis zur politischen Relevanz für sein Haus. Der Dissens zwischen Netzaktivisten und Innenpolitikern ist hier weit geringer ist als etwa bei den innenpolitischen Großprojekten Onlinedurchsuchung und Vorratsdatenspeicherung.
Im Ziel, kinderpornografische Seiten einzudämmen, waren sich alle Seiten von Beginn an einig. Nur wollte die letzte Bundesregierung schnell und mit flexiblen Seitensperrungen vorgehen, statt erst umständlich via Europol die entsprechenden ausländischen Behörden um eine Löschverfügung bitten zu müssen. Bloße Sperrungen können technisch Versierte allerdings leicht umgehen, lästerte die Netzgemeinde. Und vom ehemaligen Innenminister ist überliefert, dass ihm das Projekt seiner Kabinettskollegin keine Herzensangelegenheit war. Nun soll die technische Vorgehensweise wieder schwerfälliger, aber auch gründlicher werden. Bloße Prozessoptimierung also, mit der die aufgedrängte Expertise erfolgreich eingebunden wird?
Vielleicht beginnt die politische Debatte über einen staatlichen Einstieg in eine Netzsperr-Infrastruktur, welche recht schnell über den unstreitigen Bereich der Kinderpornografie hinaus ausgeweitet werden könnte, jetzt erst richtig. Im Iran wird politische Zensur häufig unter dem Mantel der Pornografiebekämpfung geübt - eine Gefahr, vor der Netzaktivisten auch hierzulande warnen.
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