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Kommentar Nebenjobs ParlamentarierGeheimniskrämerei schadet

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Parlamentarier müssen sich entscheiden: Ein paar Aufträge weniger oder das Vertrauen der Bürger. Nebenjobs anzugeben, liegt im eigenen Interesse.

E s gibt wirklich genug Gründe, Peer Steinbrück als SPD-Kanzlerkandidaten für einen Irrtum zu halten. Er ist schroff, mag die SPD nicht, und eine echte Chance gegen Merkel hat er wohl auch nicht. Allerdings zeitigt seine Kandidatur schon jetzt einen erfreulichen Nebeneffekt. Alle überschlagen sich geradezu mit Forderungen nach mehr Durchblick bei Politikernebenjobs.

Nach der Kritik von Schwarz-Gelb an Steinbrücks lukrativen Vorträgen ist eine Art Sog entstanden, den niemand wollte – die SPD nicht und Schwarz-Gelb erst recht nicht – und dem sich doch niemand entziehen kann. Wer jetzt gegen mehr Offenlegung mauert, riskiert es, als unglaubwürdig zu gelten. Unverhofft kommt oft.

Brauchen Bundestagsabgeordnete eigentlich Nebenjobs? Haben die nicht sowieso genug zu tun? Doch, haben sie. Und trotzdem gibt es gute Gründe, warum Parlamentarier nebenher arbeiten dürfen sollen. Denn damit kann die Chance wachsen, dass der Abgeordnete unabhängig bleibt und nicht zum Rädchen im politischen Getriebe wird, den schon die Aussicht auf eine trostlose finanzielle und berufliche Zukunft jenseits des Parlaments zum Bleiben zwingt. Und sie zum Konformismus verleitet.

Bild: taz
Stefan Reinecke

ist Parlamentskorrespondent der taz.

Doch das wiederum ist kein Grund für Geheimniskrämerei. Wir, die Öffentlichkeit, müssen das Recht haben zu sehen, wer unsere Vertreter im Parlament für welche Jobs bezahlt. Es geht dabei nicht um einen generellen Korruptionsverdacht. Im Gegenteil. Nur wenn die Öffentlichkeit weiß, was los ist, kann das pauschale Misstrauen gegen die käufliche Politik, das viele hegen, verdrängt werden.

Auch Union und FDP sollten sich fragen, welches Kapital ihnen mehr wert ist: die paar Aufträge, die möglicherweise bei echter Transparenz ausbleiben – oder das Vertrauen der Bürger. Die Pflicht, Nebenjobs anzugeben, ist keine Misstrauenserklärung gegen alle Abgeordneten. Sie liegt in ihrem eigenen Interesse.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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3 Kommentare

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  • A
    anke

    Hihi! Eine "trostlose finanzielle und berufliche Zukunft"...!

     

    Zuletzt, liest man, waren deutsche Parlamentarier 1905 ehrenamtlich tätig. Seither erhalten sie eine sogenannte Diät, zu der seit 1992 auch noch eine "Kostenpauschale" kommt, die ungefähr halb so hoch ist wie die Diät selbst. Die beiden Beträge werden regelmäßig angehoben, ohne dass irgend jemand jemals dafür hätte streiken müssen. Derzeit belaufen sich die Abgeordnetenbezüge auf rund 12.000,- Euro. Im Monat. Und auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt lässt der Staat seine Diener nicht hängen. Für ein Jahr im Bundestag erhält jeder Abgeordnete momentan 7.600,- Euro Übergangsgeld. Der Betrag kann auf bis zu 138.000,- Euro anwachsen, wenn der Abgeordnete mehr als 4 Legislaturperioden mitgemacht hat. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag haben Politiker mindestens 1.682,- Euro pro Monat sicher. Bis an ihr Lebensende und ohne dass sie dafür auch nur einen Handschlag hätten tun oder eine Stunde hätten absitzen müssten. Abgeordnete zahlen schließlich weder in eine Arbeitslosenversicherung ein, noch in einen Rentenfond. Waren sie mehr als 4 Amtsperioden dabei, wächst ihre "Pension" trotzdem auf 4.836 ,- Euro im Monat an. Trostlos ist, wenn man nicht darauf hoffen darf, jemals in seinem Leben mehr als auch nur die Hälfte dieses Betrage für einen Monat Vollzeitarbeit zu beziehen, denke ich.

     

    Eigentlich könnten Bundestagsabgeordnete von ihrem Einkommen selber vorsorgen. Selbst dann, wenn sie keinerlei bezahlte Nebenjobs annehmen. Andere Leute schaffen das schließlich auch. Obwohl sie "nur" das Durchschnittseinkommen von 2.300,- Euro im Monat (oder sogar weniger) beziehen. Und zwar ohne dass man ihnen auch noch 15.000,- Euro im Monat für ihre Mitarbeiter oder freie Fahrt in allen öffentlichen Verkehrsmitteln und auf Inlandsflügen gewährt. Wer auch nur ein Jahr im Bundestag verbracht hat, der kriegt dafür nachher 73% des durchschnittlichen Einkommens, und diese "Rente" scheint tatsächlich sicher zu sein.

     

    Das ist das eigentlich "trostlose" am Prinzip, finde ich: Selbst dann, wenn ein Mensch in seinem Leben nichts anderes geleistet hätte, als eine Jahr im Bundestag abzusitzen, hätte er damit für seine Zukunft besser vorgesorgt als einer, der sein Leben lang zum Durchschnittslohn geschuftet hat. Mehr noch: Durch dieses zweifelhafte "Verdienst" steigt sein Marktwert offenbar so weit an, dass er sich kaum noch wehren kann gegen die Avancen derer, die profitieren möchten von seinem "Insiderwissen" und seinen "guten Beziehungen", obwohl sie offenbar schon vorher eine ganze Menge Geld übrig hatten.

     

    Manche Manche sind eben doch verdammt viel gleicher als andere. Und entsprechend selbstgerecht. Dass sich Bundestagsabgeordnete von schlecht bezahlten taz-Autoren sagen lassen, wo ihre Interessen liegen, halte ich jedenfalls für ausgeschlossen.

  • N
    Normalo

    Der Kommentar wird dem Dilemma leider nicht gerecht, dass es etliche selbständige Berufe gibt, die eine gewisse Diskretion erfordern, damit man sie überhaupt ausüben kann.

     

    So erstrebenswert volle, publizierte Transparenz ist, so problematisch ist es, sie auch hinsichtlich der Person der jeweiligen Auftraggeber immer (und "mal so, mal so" kommt nicht in Frage) durchzusetzen. Natürlich mag es nicht nur von Interesse sein, für wen ein Abgeordneter hochdotierte Vorträge hält, sondern auch wen er z. B. als Rechtsanwalt - gegebenenfalls auch sehr einträglich - berät. Aber genau gegen dieses öffentliche Interesse wurde die berufliche Schweigepflicht erfunden - damit sich überhaupt jemand mit seinen Problemen zu einem Anwalt traut.

     

    Noch krasser wäre die Indiskretion einer Veröffentlichung bei Ärzten oder gar Prostituierten. Denn auch die können Bundestagsabgeordnete sein (auch wenn zumindest im letzteren Fall eine Fortführung der beruflichen Tätigkeit neben dem Mandat wohl weder wahrscheinlich noch anzuraten wäre).

     

    Regeln müssen immer so aufgestellt werden, dass sie für Alle gelten können, ohne zu Schieflagen zu führen. Wenn ein Freiberufler bei Annahme eines Mandates rechtliche Nachteile für seine Berufsausübung zu befürchten hat, die einen Beamten, Angestellten oder auch Berufspolitiker nicht treffen, ist das freie und gleiche (passive) Wahlrecht beeinträchtigt - ein herber Schlag für die Demokratie.

  • M
    menschenfreund

    Es ist schon sehr interessant. Gerade in Deutschland geht es nicht schnell genug, jeden noch so großen Schwachsinn zu übernehmen - wenn er aus den USA kommt.

    Wirtschaftswissenschaften, Verkaufsstrategien, Personalwesen, Mode, "Kultur" und Kultur, Musik und wer weis was sonst noch.

    Wenn es aber darum geht, z.B. Einkünfte offen zu legen, tritt erstaunlicherweise? eine vorher nicht gekannte Zurückhaltung ein. Komisch, nicht?