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Kommentar Namensstreit um MazedonienZeit für eine Lösung

Jannis Papadimitriou
Kommentar von Jannis Papadimitriou

Der Streit um den Namen „Mazedonien“ kann nach 26 Jahren gelöst werden. Die Massenproteste in Griechenland sind da kein Widerspruch.

Emotional aufgeladener Protest in Athen gegen die Namensgebung im benachbarten Mazedonien Foto: dpa

D ie Bedingungen scheinen gut, dass der Namensstreit um Mazedonien endlich gelöst wird – trotz der jüngsten Protestkundgebung in Athen.

Schon im Februar 1992 waren über eine Million Menschen in Thessaloniki zusammengekommen, um gegen einen Kompromiss im Namensstreit mit der „Republik Mazedonien“ zu demonstrieren. Es war die größte Versammlung in der griechischen Nachkriegsgeschichte. Aus griechischer Sicht darf die Republik Mazedonien seinen verfassungsrechtlich verankerten Namen nicht verwenden, da er Gebietsansprüche gegen die gleichnamige griechische Region impliziert. So stark war der Druck der Straße, dass der damalige Ministerpräsident Mitsotakis eine unter EU-Vermittlung erzielte Kompromisslösung ablehnte.

Durch Zeitablauf wird das Problem allerdings nicht gelöst. In Athen sieht man das mittlerweile ein. Vermutlich wächst auch in Skopje das Bewusstsein, dass der Nachbar im Süden, trotz aller patriotischen Sprüche, die er gelegentlich klopft, keine Gebietsansprüche stellt. Immerhin haben alle griechischen Regierungen der vergangenen zwanzig Jahren akzeptiert, dass der Name „Mazedonien“ Bestandteil der Lösung wird. Im Gegenzug verlangen sie jedoch Verfassungs- und Sicherheitsgarantien, die künftige Träumereien über ein Großmazedonien bis zur Ägäis verhindern.

Der Expräsident Mazedoniens, Nikola Gruevski, war nicht bereit, diese zu geben. Sein sozialistischer Nachfolger, Zoran Zaev, tickt anders und versteht sich gut mit Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras. Doch plötzlich meldet sich die Straße in Hellas zurück, Hunderttausende demonstrieren. Anscheinend wird die Zeit um 26 Jahre zurückgedreht. Und doch ist vieles anders:

Heute stellen sich die großen Parteien nicht geschlossen gegen einen Kompromiss, das Staatsfernsehen fördert kaum patriotisches Gedankengut und die mächtige orthodoxe Kirche erscheint gespalten in der Mazedonienfrage. Alles in allem: Es wird Zeit für eine Lösung.

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Jannis Papadimitriou
Auslandskorrespondent Griechenland
Jahrgang 1969, berichtet aus Athen u.a. für die taz und die Deutsche Welle. Er studierte Jura in Bonn und war langjähriger freier Mitarbeiter des WDR und der Deutschen Welle. Auch in Griechenland hat er als Redakteur und Live-Moderator gearbeitet.
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4 Kommentare

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  • Sicherlich haben Sie Recht, dass die Griechen noch Nachholbedarf bei der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte haben. Auch die Zeit der Militärdiktatur darf dabei nicht vergessen werden.

     

    Aber das steht doch der Forderung nicht entgegen, dass die Staatsgrenzen, die vor über 100 Jahren festgelegt wurden, garantiert werden sollen. Zumal ja die große Mehrheit der Bevölkerung in der Region Makedonia griechisch ist und nicht mal ansatzweise Interesse hat, mit dem slawischen Land Mazedonien vereinigt zu werden.

    • @Vroni M.:

      demosthenes, phillipica 3, 9, 31

       

      die Griechen haben auch nachholbedarf ihrer älteren geschichte, wer lesen kann ist klar im vorteil.

    • @Vroni M.:

      Das war als Antwort an Philippe Ressing gedacht

  • Nationalismus als Ventil für eine desolate wirtschaftliche und politische Situation. Nea Dhemokratia marschiert gemeinsam mit der Nazi-Partei Chrysi Avghi und Mikis Theodorakis gibt den Nationalisten Zucker. Armes Griechenland. Und ein Beispiel dafür, dass man nicht bereit ist, kritisch mit der eigenen Geschichte umzugehen. Das ach so hellenische Theassaloniki war vor der 'Befreiung' 1912 mehrheitlich von Nicht-Griechen bewohnt - eine multiethnische Stadt. Griechen wie Slawen versuchten nach der Vertreibung der Osmanen und nach dem Ersten Weltkrieg mittels ethnischer Säuberung einheitliche Staatsgebilde zu schaffen. Das hellenische Selbstverständnis lebt auch vom Selbstbetrug, was verband nach dem Ersten Weltkrieg die vertriebenen Griechen vom Schwarzen Meer oder Kleinasien mit Kretern oder dem Peloponnes? Der Mythos des antiken Griechenland und der Einfluss der orthodoxen Kirche. Wer am Hellas-Mythos rührt, wie etwa der mutige Bürgermeister von Thessaloniki, wird geschmäht und als Landesverräter beschimpft. Das die meisten Bewohner der Stadt 1943 zusahen, wie die Deutschen die 50 000 Juden der Stadt in die Vernichtungslager deportierten und manche sich daran bereicherten, Fehlanzeige. Der jüdische Friedhof - der älteste Europas - wurde von den Nazis geschändet und nach dem Krieg von der Stadt planiert - dort befindet sich heute die Universität Thessaloniki. Kein Wunder also, dass das Mahnmal der Deportation anlässlich der nationallistischen Demo vor einer Woche in Thessaloniki mit Chrysi Avghi Parolen beschmiert wurde.