Kommentar NSU: Bedauern und mauern
Bei der politischen Aufarbeitung der NSU-Morde wäre es gut, eigene Fehler einzuräumen. Die kann sich der bayerische Ex-Innenminister Günter Beckstein aber nicht eingestehen.
D ie Aufarbeitung der NSU-Morde erfolgt an vielen Fronten. Da ist zum einen die juristische Aufarbeitung, bei der es am Freitag zu einer überraschenden Nachricht kam, indem einer der mutmaßlichen Helfer des Neonazitrios aus der U-Haft entlassen wurde. Ein Menetekel für den weiteren Umgang der Justiz mit dem NSU? Hoffentlich nicht.
Sorgen machen kann man sich aber schon jetzt über die politische Aufarbeitung. Im Untersuchungsausschuss des Bundestags hatte am Donnerstag bis in den Abend hinein mit dem bayerischen Ex-Innenminister Günther Beckstein (CSU) der erste Zeuge ausgesagt, der in der fraglichen Zeit politische Verantwortung trug – die er aber im Zusammenhang mit dem NSU nicht übernehmen möchte. Bayern habe nix großartig falsch gemacht, befand er. Und er schon zweimal nicht.
Es war überhaupt ein seltsamer Auftritt von Beckstein. Um zu beweisen, wie viel er als Innenminister gegen Rechtsextremismus getan habe, entblödete er sich nicht einmal, aus einer Laudatio der ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden zu zitieren – auf Beckstein. Das könnte man ihm als Schrulligkeit durchgehen lassen. Unverzeihlich aber ist, dass er nicht die Größe hatte, zumindest die Fehler der bayerischen Behörden zuzugeben, die offenkundig sind.
Denn der Untersuchungsausschuss hat schon jetzt herausgearbeitet, wie miserabel Polizei und Verfassungsschutz im Freistaat zusammenarbeiteten, wenn es darum ging, einem möglichen rechtsextremen Motiv nachzugehen. Mal verließ sich der eine auf den anderen, der dann aber nichts tat; mal blockierten sich die Behörden gegenseitig. Im Ergebnis blieben zehn Morde über elf Jahre unaufgeklärt.
Dass Beckstein dies bedauert, steht außer Frage. Aber sein Bedauern wäre noch überzeugender gewesen, wenn er das Mauern gelassen hätte.
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