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Kommentar NSU-ProzessProvinziell und unsensibel

Wolf Schmidt
Wolf Schmidt
Kommentar von Wolf Schmidt und Wolf Schmidt

Gerangel um Plätze, unglückliche Äußerungen: Das Münchner Oberlandesgericht versteht die historische Dimension des NSU-Prozesses nicht.

An dieser Stelle in Nürnberg wurde der Imbissbetreiber Ismail Yasar am 09.06.2005 vom Neonazi-Terrortrio NSU ermordet. Bild: dpa

D ie Norweger haben vorgemacht, wie es geht. Im Prozess gegen den Rechtsterroristen Anders Behring Breivik hat die dortige Justiz es geschafft, ein streng rechtsstaatliches Verfahren durchzuführen und dennoch sowohl den Opfern gerecht zu werden als auch den Bedürfnissen einer internationalen Medienöffentlichkeit. Sogar eine Simultanübersetzung ins Englische hatte das Osloer Amtsgericht organisiert.

Ganz anders die bayerische Justiz. Dem Oberlandesgericht München ist es gelungen, noch vor Beginn des historischen Prozesses gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier Helfer so viel Porzellan zu zerdeppern wie möglich. Weil der Gerichtssaal zu klein ist, werden voraussichtlich nur 50 Zuschauer und 50 Journalisten Platz finden – die zudem nur einen Teil des Geschehens sehen können.

Die Forderung, den Prozess für die Medien wenigstens in einen Nebensaal zu übertragen, schmetterte die Gerichtssprecherin mit den Worten ab, man sei doch nicht beim Public Viewing. Dieselbe Dame befand auf die Frage, ob dies ein Jahrhundertprozess werde: Das könne man nicht sagen, das Jahrhundert sei noch lang.

Bild: Kathrin Windhorst
Wolf Schmidt

Jahrgang 1979, ist Redakteur für Innere Sicherheit bei der taz.

Schlange stehen

Selbst die Bitte, für den türkischen Botschafter einen Platz zu reservieren, wurde zunächst zurückgewiesen. Wäre es dabei geblieben, hätte er sich zum Prozessauftakt morgens um fünf Uhr anstellen müssen, um eine Chance zu haben, reinzukommen.

Niemand will, dass das NSU-Verfahren zum Schauprozess wird. Es ist auch gut, dass kein eigenes Gericht gebaut wurde wie damals in Stammheim für die RAF-Angeklagten. Aber so unsensibel und provinziell wie die bayerische Justiz darf man an dieses Verfahren nicht herangehen.

Warum nicht wie in Norwegen? Auf diese Frage antwortete der Präsident des Oberlandesgerichts: Wir sind hier in Deutschland. Ein Armutszeugnis.

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Wolf Schmidt
Inlandsredakteur (ehem.)
Jahrgang 1979. War bis 2013 in der taz zuständig für die Themen Rechtsextremismus, Terrorismus, Sicherheit und Datenschutz. Wechsel dann ins Investigativressort der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Wolf Schmidt
Inlandsredakteur (ehem.)
Jahrgang 1979. War bis 2013 in der taz zuständig für die Themen Rechtsextremismus, Terrorismus, Sicherheit und Datenschutz. Wechsel dann ins Investigativressort der Wochenzeitung „Die Zeit“.
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11 Kommentare

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  • H
    Herbert

    Deutschland ist ein Rechtsstaat und dieser Prozess sollte nach rechtssaatlichen Prinzipien und nach unseren Gesetzen geführt werden. Es ist gut, dass das Gericht politischer Instrumentalsierung entgegentritt.

     

    Zur Medienschelte aus der Türkei kann ich nur sagen, "Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen." (Men denke mal an die vielen Journalisten, die in der Türkei im Gefängnis sitzen.)

  • S
    Swilly

    Artikel 97 des Grundgesetzes:

    (1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.

     

    Was soll die Richterschelte im Vorfeld des Prozesses?

  • M
    menschenfreund

    Was bitte ist "provinziell"?

    Ich denke, es ist ein Ausdruck von Stadt/Großstadtleuten, die unwissend und/oder gezielt Leute in der "Provinz" "unterirdisch" finden?

    Sollte das so sein, erklären Sie doch bitte einmal wie es denn kommt, (aus der WAZ):

    "Südwestfalen ist nicht nur hoch industrialisiert, sondern darüber hinaus eine mit Weltmarktführern gespickte Wirtschaftsregion. Mehr als 100 haben die drei Industrie- und Handelskammern (IHK) in Hagen, Arnsberg und Siegen ermittelt und sie gestern in einer gemeinsamen Broschüre vorgestellt.

    „Damit haben wir unseren dritten Rang unter Deutschlands führenden Industrieregionen hinter dem Südschwarzwald und Ostwürttemberg gefestigt“, betonte Projektleiter Thomas Frye von der IHK Arnsberg bei der Präsentation der Broschüre bei der Firma Meister Werke (Weltmarkt-Technologieführer bei Hartbodenbelägen) in Rüthen. IHK-Präsident Ralf Kersting geht wegen einer anzunehmenden Dunkelziffer von „echten“ 120 bis 130 Weltmarktführern in Südwestfalen aus."

    So ganz nebenbei gibt es "noch ein wenig" Land-, Forst und Viehwirtschaft und obendrauf noch ein wunderschönes Urlaubsgebiet!

    Geht nicht? Fahren Sie mal hin!

    Das ist "tiefste Provinz.“

  • HS
    h s

    "Wir sind hier in Deutschland" heisst "es gibt hier keinen Rechtsterror", also gibt es auch keine Besonderheiten bei einem solchen Verfahren.

     

    Muss man nur konsequent glauben und umsetzen. Hat seit 45 so funktioniert, die Justiz kennt sich da aus, speziell in Bayern.

  • M
    Markus

    Hier in Bayern ticken die Juristen eben doch etwas anders. Der Filz am Niederrhein ist dagegen gar nichts. Beamte und Rechtspopulisten bestimmen hier seit langem wo es langgeht. Man spielt "Staat" und ist eigentlich nur ein Hans-Wurst vom Lande. In Regensburg z.B. werden Klagen ohne Beweise angenommen (auch Landgericht). Das hat was von den Prozessen aus den 30ern. Die Angeklagten müssen natürlich beweisen. Wie das zusammenpaßt in einem angeblichen Rechtsstaat und wie das dann ausgeht ist klar. Es ist traurig, gerade an einem so geschichtsträchtigen Ort wieder einen Prozess zu führen und sich seiner Verantwortung nicht bewusst zu sein. Hier wurden übrigens auch die Geschwister Scholl, wegen ein paar Flugblätter verurteilt. Hat man seit dem etwas dazu gelernt? Ich hoffe es doch sehr und ich wünsche mir eine unabhängige Justiz. Aber das wird wohl nur ein Wunsch bleiben, oder?

  • P
    Paul

    Es sind eben viele, viele kleine, manchmal kaum bemerkbare und oft sogar unsichtbare Steinchen in D, die das nach wie vor vorhandene große Mosaik des Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit, der Ausländerfeindlichkeit, des Antisemitismus,... bilden. Und dazu gehört ganz sicher, daß diese NSU-Morde niemals richtig aufgeklärt werden. Es hängen halt zuviel staatliche Behörden mit drin. Brave, brave Bürger, die doch wie immer nichts als ihre Pflicht getan haben.

    Ein größerer Saal und eine größere Öffentlichkeit können kein Problem sein. Es sei denn, hier soll streng rechtsstaatlich weiterhin möglichst viel unter der Decke bleiben.

  • F
    Fritz

    Wir haben ein Gerichtsverfassungtsgesetz und da ist kein Platz fuer Karneval. Ihn als Journalisten zu akkretitieren, dafuer fliegt dann ein anderer raus. Grosses Kino. Viel Tamtam.

     

    Auf egyptindependent ist ein Film ueber einen Freundeskreis, der in Syrien Krieg fuehrt, ein kleiner Trupp innerhalb der Opposition, Studenten ohne Kommando und so weiter, mal hier, mal dort, Allahu Akbar als Erkennungszeichen.

     

    So stelle ich mir die NSU und die Zukunft sowieso vor. Und Drohnen schiessen ueberall nicht nach rule of law sondern rule of engagement. Gute Nacht!

  • F
    fsasoie

    Bei dem Datum in der Kopfzeile habt Ihr Euch aber einen kleinen Scherz erlaubt :-)

  • G
    Georg

    Erst die NSU-genannte Truppe staatlicherseits unterhalten um sie erforderlicherseits aus der Tasche zu ziehen, um jegliche patriotische Bewegungen zu diskreditieren und jetzt eine Badewanne voll Schuld- und Betroffenheitsschlamm einlaufen zu lassen.

     

    Dafür gibt es nur eine Bezeichnung:

     

    Hochverrat

  • F
    FaktenStattFiktion

    Historische Dimensionen hat weniger das Mörderduo erreicht, sondern die Instrumentaliierung der Opfer durch die türkischen Lobbyisten.

     

    Eine tote Polizistin, ein toter Grieche. Nur keine Lobby. Wie immer.

  • P
    Provinzposse

    Ganz Deutschland weis doch das es Morde im Auftrag des Verfassungsschutzes passierten und viele bekommen auch langsam mit das es mehr rassistische Morde an Deutschen gibt als umgekehrt. Was wollt ihr denn?

    Als es hier in Bretten diesen Mord gab, da hat die TAZ keine Zeile darüber verschwendet:

    Bretten: Mann sticht auf Hochschwangere ein und tötet Baby

    "Über die Motive des Täters kann nur gerätselt werden. Ein mögliches Motiv könnte eine Beziehungskrise des türkischstämmigen Paares gewesen sein, hieß es."

    http://www.spiegel.de/panorama/justiz/baden-wuerttemberg-mann-sticht-auf-hochschwangere-ein-und-toetet-baby-a-878889.html

     

    Die Mutter ist danach auch gestorben und heute wurde der Täter gefasst, auch das passt wieder:

    „Ein rascher Festnahmeerfolg war allerdings dadurch erheblich erschwert, dass sich der Mann sehr konspirativ verhielt und nicht zuletzt mit Unterstützung von Verwandten häufig seinen Aufenthaltsort wechselte“

     

    Wäre dieser Mord in Indien passiert, dann hätten die Grün-Linken garantiert eine Lichterkette von hier bis nach Hamburg organisiert...

     

    Beschwert euch nicht das sich niemand für das erfundene Politikschauspiel der NSU/Verfassungsschutz interessiert, wir haben Internet, nutzen es und blicken langsam durch.

     

    Grüssle an vic